09.07.2020

Bunter Abend

Das imposante Werk hat seinen Ursprung im Jahr 2008. Ira Hugger, die heute mit ihrem Mann Frank in Rottweil eine Werbeagentur betreibt, besucht mit den beiden kleinen Töchtern ihre Großeltern im hessischen Hallgarten. Man sitzt im Garten mit Blick auf den Rhein, die Kinder spielen und Ira fasst einen weitreichenden Entschluss: sie möchte mit der seit Jahren unbenutzten Nähmaschine ihrer Oma einen Quilt erstellen, eine Steppdecke aus kleinen Stoffteilen. „Quilten“ ist eine alte Patchwork-Technik, bei der zunächst Stoffquadrate zugeschnitten, anschließend punktgenau in Reihen aneinander genäht sowie wattiert, abgesteppt und eingefasst werden.

Die Grafikerin und Illustratorin lässt sich bei diesem Projekt von den Amish People inspirieren, jener Glaubensgemeinschaft in den USA, die weitestgehend von der Landwirtschaft leben und moderne Technik inklusive Strom, Telefon, Fernsehen oder Internet ablehnen: „Mich faszinieren bis heute Kultur und Lebensweise der Amish. Deren bewusste Konzentration aufs Wesentliche repräsentieren die berühmten amish Quilts. Zehn Frauen und mehr sitzen zusammen und verwenden nach strengen Regeln alte Stoffe.“ Auch die Quilts des amerikanischen Textil-Künstlers Kaffe Fassett beeindrucken Ira Hugger. Für ihr Exemplar hat sie noch eine ganz besondere Idee: „Ich wollte ausschließlich Stoffe verwenden, die einen Zusammenhang mit unserer Familiengeschichte herstellen.“

Gesagt getan. Mit den Jahren wächst der Familien-Quilt kontinuierlich. Ira Hugger verarbeitet in verschiedenen Lebensphasen den Ohrensessel-Bezug von den einen und Badezimmergardinen von den anderen Großeltern, Gardinenstoff aus dem zerbombten Haus der Urgroßeltern, einen Stoff, den sie von der Hebamme ihrer Kinder geschenkt bekommt, Stoffe aus Bezugszeiten des Hugger’schen Hauses in der Engelgasse oder Gardinen aus dem alten Kinderzimmer ihrer beiden Töchter. Von 1920 bis 2020 reicht die bunte Stoffmelange, welche durch Corona schneller als erwartet fertiggestellt wird. Der 52-Jährigen geht die Arbeit stets leicht von der Hand, nähte sie doch lange Zeit ihre komplette Garderobe selbst: „Das lohnt sich heute leider nicht mehr, aber selbstgemachte Dinge haben einfach einen ganz besonderen Wert.“

Ihren Töchtern hat die Kunstpädagogin jedenfalls unmissverständlich klar gemacht, „dass diese Decke auch nach meinem Ableben unbedingt in Ehren gehalten werden soll.“ Bis dahin aber bekommt sie einen Ehrenplatz im Gartenhaus auf dem Rosswasen, wo ein gemütliches Bett speziell für das ein oder andere Mittagsschläfchen aufgestellt wurde.