22.10.2020

23:16

Nachtschicht bei der Gebrüder Schwarz GmbH in Rottweil-Neukirch. 22 bis 6 Uhr. Das Unternehmen macht in Kunststoff. In der Abteilung Spritzgießfertigung sind die Mitarbeiter im Schichtdienst sechs Tage pro Woche damit beschäftigt, anspruchsvolle und innovative Kunststoffsystemlösungen zu realisieren. Die Nachtschicht wurde 1985 für die Serienfertigung eingeführt. Der Grund ist schnell erklärt. Bis die Maschinen hochgefahren sind und ihre optimales Produktionslevel erreichen,wird enorm viel Energie benötigt. Darüber hinaus bedeutet der Anfahrprozess ein höheres Ausfallrisikovon Werkzeug und Maschine. Somit werden alle Spritzgießaufträge erst gestoppt, wenn die benötigten Stückzahlen produziert sind. Komplett still stehen die Maschinen nur am Wochenende.

In der Nachtschicht sind mehrere Teams beschäftigt. Die Mitarbeiter in der Fertigung bearbeiten die von den Maschinen produzierten Teile weiter und verpackensie. Im Bereich „Qualitätssicherung“ werden Stichproben der produzierten Teile überprüft. Ist ein Kundenauftrag erledigt, rüsten die Einrichter die Maschinen um für den nächsten Auftrag. Das Team der Materialbereitstellung ist dafür verantwortlich,
dass die Maschinen stets über ausreichend Kunststoffgranulat und Rohstoffe verfügen. Zudem muss für die Kollegen aus der Fertigung genug Verpackungsmaterial zur Verfügung stehen. Eine weitere Aufgabe besteht darin, die fertig verpackten Teile ins Lager zu transportieren.

Wir treffen in der Nachtschicht Melanie Horn. Die 40-Jährige arbeitet seit vier Jahren bei der Firma Schwarz in der Nachtschicht. Ihr gefällt die Arbeit. Die Aufgaben werden rollierend gewechselt, so dass Langeweile erst  jährige Tochter Anja nach deren Arbeit bei der Lebenshilfe Rottweil betreuen. Nachts zu arbeiten, macht ihr nichts aus: „Viel stressiger sind regelmäßig wechselnde Schichten. Da muss sich der Körper ständig neu orientieren.“

Gegen 1 Uhr gibt es eine Pause, während der sich Melanie Horn im Pausenraum meist ein belegtes Brötchen aus dem Automaten gönnt. An den Geräuschpegel und die Abwärme der Maschinen hat sie sich längst gewöhnt: „Letztere ist natürlich im Winter deutlich angenehmer wie im Sommer.“ Die Arbeitswochen beginnen Sonntagnacht und enden am Freitagmorgen. Einziges Problem am Wochenende: sie
ist nachts fit wie ein Turnschuh: „Oft schaue ich bis drei oder vier Uhr morgens fern.“

Die Nachtschicht wartet aus ihrer Sicht mit weiteren Vorteilen auf: „Wenn die anderen los müssen, habe ich Feierabend und kann den Tag verplanen.“ Nachdem sie gegen 6.30 Uhr zuhause ist, gibt es erst einmal eine Tasse Kaffee. Von acht bis 15 Uhr schläft Melanie Horn, danach erledigt sie den Haushalt und geht einkaufen.

Ihre Kollegin Claudia D’Aiuto hat als dreifache Mutter ebenfalls die Nachtschicht bei der Firma Schwarz kennen und schätzen gelernt: „Für mich ist diese Schicht ideal. Tagsüber, wenn die Kinder von der Schule kommen, kann ich für sie da sein.“ Dafür nimmt die 35-Jährige für sich einen straff durchorganisierten Alltag in Kauf. Wenn sie gegen 6.45 Uhr nach Hause kommt, bereitet sie das Mittagessen vor und schläft dann von 8.30 bis 13 Uhr. Ihr Mann arbeitet von 8 bis 17 Uhr. Nach knapp fünf Stunden Schlaf („Das reicht mir!“) kommen die Kinder nachhause. Nachmittags kümmert sich Claudia D’Aiuto um den Haushalt, den Einkauf und absolviert bei Bedarf Termine mit ihrem Sohn (16) und den zwei Töchtern (12 und 7).

Auch wenn ihre Jüngste nicht begeistert ist, dass die Mama seit fünf Jahren in der Nacht nicht da ist, erträg sie es tapfer: „Ich sage ihr immer, dass es doch viel schlimmer wäre, wenn ich tagsüber nicht da bin. Dann müsste sie beispielsweise in der Schule essen.“ Und arbeiten muss sein, denn: „Drei Kinder muss man erstmal ernähren…“

Kristijan Mitrovic verdient seine Brötchen seit 22 Jahren während der Nachtstunden. Zunächst 15 Jahre als Bäcker in einer Bäckerei („ab 1 Uhr bis open end“), mittlerweile seit knapp sechs Jahren bei der Firma Schwarz. Die Unterschiede liegen für den 38-Jährigen auf der Hand: „Als Bäcker verdient man weniger, muss länger arbeiten und hat weniger Freizeit.“ Um 6.15 Uhr kommt Kristijan Mitrovic von der Arbeit nach Hause.  und legt sich ab 7.30 Uhr zum Schlafen. Um 14 Uhr steht er auf, macht sich Mittagessen und plant seine Freizeit bis 21 Uhr. Einkaufen, Freunde treffen, Termine wahrnehmen: „Ich kann den Tag individuell gestalten. Für mich ist die Nachtschicht perfekt!“ Einzig wenn sich eine Familiengründung anbahne sollte, würde der 38-Jährige den Wechsel in eine andere Schicht in Erwägung ziehen.