22.10.2020

00:07

Nachts sind nicht nur alle Katzen grau, sondern auch so ziemlich alle anderen Tiere. Christoph und Dominik, beide Jäger aus Passion, müssen scharfe Augen haben, wenn sie im Mondschein durch das 200 Hektar große Revier bei Rottweil streifen. Doch die nächtliche Pirsch ist alternativlos. Tagsüber ist längst keine Sau mehr im Wald unterwegs: „Das war schon vor Corona so und hat sich seitdem noch verstärkt“, erzählt Christoph. Die Wälder im dichtbesiedelten deutschen Südwesten seien bei Tageslicht hoch frequentiert. Wanderer, Mountainbiker, Waldbadende, Jogger und andere Outdooraktivisten sorgen dafür, dass sich die tierischen Waldbewohner im Unterholz, in Hecken und Sträuchern („Dickung“) verkriechen. Auf Nahrungssuche geht es mittlerweile hierzulande stets erst nach einsetzender Dämmerung.

Christoph möchte niemandem den Aufenthalt im Wald verwehren. Allerdings kann er für Menschen, welche bewusst die offiziellen Wege und Routen verlassen, kein Verständnis aufbringen: „Viele wissen auch einfach nicht, dass es während der landwirtschaftlichen Nutzung schlicht verboten ist, Felder und Wiesen zu betreten.“ Ähnlich verhält es sich mit nicht angeleinten Hunden, da jeder noch so gut erzogene Hund einen natürlichen Jagdtrieb besitzt.

Warum der 44-Jährige Messtechniker und sein Mitjäger nächtelang auf der sogenannten „Kanzel“ – dem Hochsitz – sitzen, hat einen guten Grund: Jedem erlegten Stück Wild gehen viele Stunden „Ansitzzeit“ voraus. Was viele nicht wissen: Jagen ist gelebter Naturschutz. Ein guter Jäger weiß genau, was sich in seinem Revier abspielt. Er durchstreift es oft ohne Gewehr, beobachtet viel, kennt die Wege der Tiere („Wildwechsel“) und nutzt mit Fotofallen modernste Technik, um den Wildbestand und dessen Gesundheit zu überwachen. In strengen Wintern verteilt er Apfeltrester und Mais als zusätzliches Futter für die Tiere.

Durch die Klimaveränderung findet das Wild mittlerweile ganzjährig reichlich Nahrung, wodurch die Wildbestände stetig zunehmen. Somit muss der Jäger jährlich eine bestimmte Anzahl an Wild der Natur entnehmen. Dadurch werden auch Krankheiten und Stress aufgrund von Überpopulationen vorgebeugt. Bestimmte Krankheiten – wie etwa die Fuchsräude oder der Bandwurm – können auch für Hunde und Menschen gefährlich werden. Generell gilt: Beim Jagen dürfen die Eltern von Jungtieren nicht geschossen werden. Der Nachwuchs hätte ansonsten keine Überlebenschance.

Gehen Christoph und Dominik „auf Reh“ sind drei Stunden auf der Kanzel die Regel, „auf Wildschwein“ sind es sogar sieben bis elf Stunden – ohne Garantie dann auch wirklich eine Wildsau zu erlegen: „Wildschweine sind die schlauesten Tiere im Wald. Ein leises Geräusch, ein Hauch Menschengeruch und weg sind sie.“ Während des stundenlangen Wartens wird die Umgebung beobachtet, um sofort hellwach zu sein, wenn auch nur ein Ästchen knackt. Selbst das Licht eines Handydisplays ist zu hell. Die beiden verwenden Rotfilter, da die Tiere die Farben Rot und Grün nur bedingt wahrnehmen. Für Christoph bedeuten diese Stunden pure Entspannung: „Man kommt zur Ruhe, schaltet ab und verarbeitet somit jeglichen Stress.“ Wird ein Reh oder ein Wildschwein erlegt, liegen arbeitsreiche Stunden vor dem Jäger: die sogenannte „Rote Arbeit“. Gemeint sind das fachmännische Ausnehmen sowie das Zerlegen des Wildbrets in küchenfertige Portionen.

Der 44-Jährige kam durch seine Frau Stefanie und Schwiegervater Dieter zur Jägerei. Die vielfältigen Aufgaben im von Dieter und Stefanie gepachteten Revier faszinierten ihn mehr und mehr, so dass er sich vor drei Jahren spontan dazu entschloss, den Jagdschein zu machen. Warum dieser auch als „grünes Abitur“ bezeichnet wird, hat der zweifache Familienvater schnell begriffen. Im Rahmen eines halbjährigen Kurses werden Jagdschein-Anwärter zu regelrechten Waldexperten ausgebildet. Dazu gehören schriftliche, mündlich-praktische Prüfungen sowie eine Schießprüfung. Die erworbenen Kenntnisse umfassen etwa Wildtierökologie, Jagdethik, Tierkrankheiten, der Umgang mit erlegtem Wild, Wildbrethygiene, die Haltung von Jagdhunden sowie Waffen- und Pachtrecht.

Heute ist Christoph jeden zweiten Tag im Wald zu finden. Langeweile kommt keine auf. Das Revier besteht aus rund 160 Hektar Wald und 40 Hektar Feldern, für deren Schutz der Jagdpächter sorgen muss. Liegen Mais- oder Getreidefelder im Revier, muss der Jäger gewährleisten, dass das Wild von der Aussaat bis zur Ernte keine Schäden verursacht. Zu seinen Aufgaben gehört somit, die Felder durch Einzäunen und wildvergrämende Duftstoffe zu schützen. Durch den Verkauf von Wildbret ist es möglich, die anfallenden Kosten für Material, Instandhaltung und Wildschadensersatz zu decken.

Die Nachfrage nach Wildfleisch ist mittlerweile groß. Da sich Rehe nahezu ausschließlich von bestimmten Kräutern ernähren („Gourmets des Waldes“), gilt ihr Fleisch als besonders schmackhaft. Darüber hinaus ist Wild nicht dem Stress herkömmlicher Schlachttiere ausgesetzt, die nachweislich spüren, wenn es zum Schlachthof geht.

Für Christoph und Dominik jedenfalls ist die Jägerei längst mehr als ein Hobby, vielmehr ein wichtiger Teil ihres Lebens, oder um es mit Christoph zu sagen: „Für mich ist es eine Berufung.“