07.01.2020

03:00 Uhr

Manchmal verliert Silke die Orientierung. Obwohl ihr Wecker nicht klingelt, steht sie um 2.30 Uhr auf und zieht sich an. Erst an der Wohnungstür realisiert die 50-Jährige, dass Sonntag ist. Silkes Biorhythmus ist unbestechlich. 19 Jahre Zeitungen auszutragen prägt. Jede zweite Kalenderwoche von montags bis samstags steht sie um 3 Uhr an ihrer Ausgabestelle in Rottweil. Läuft alles normal, liefert der Fahrer den Schwarzwälder Boten und die BW-Post zum Verteilen. Nach Fußballspielen oder anderen wichtigen Ereignissen kann es auch schon mal 3.30 Uhr werden, da die Druckmaschinen später anlaufen. Abhängig von ihrem Schichtplan kommt Silke ins Schwitzen: „Wenn ich an solchen Tagen Frühschicht habe, muss ich mich richtig sputen. Um 6 Uhr beginnt mein Hauptjob. Und ich habe noch eine knappe halbe Stunde Anfahrt.“

Sie packt Zeitungen, Pakete und Briefe in ihr Auto. Im ersten von zwei Bezirken parkt sie und sortiert unter dem Licht einer Straßenlaterne die Post. Anschließend startet die Verteilung. Abhängig von Witterung sowie Postaufkommen benötigt Silke zwischen zwei und zweieinhalb Stunden. Zuhause putzt sie sich schnell die Zähne. Mit der Vespertasche geht es wieder ins Auto. Die dreifache Mutter, deren Söhne schon alle erwachsen sind, arbeitet bei einem Hersteller für Leiterplatten in der Abteilung „Qualitätssicherung“. Jede zweite Woche ist sie in der Spätschicht eingeteilt und kommt erst gegen 23.30 Uhr nach Hause. Um 2.30 Uhr wieder aufzustehen, ist da beim besten Willen nicht drin: „Die Zeitungen verteile ich dann erst ab 4 Uhr.“ Silkes Wochentage beginnen somit entweder um 2.30 Uhr oder eine Stunde später. Dementsprechend ist gegen 20 Uhr „der Akku leer“, und sie geht schlafen.

Zu dem frühmorgendlichen Nebenjob kommt die gelernte Gaststättenfachgehilfin im Jahr 2000 über eine Freundin. „Es hat mir auf Anhieb gefallen. Morgens um diese Zeit ist es so schön ruhig. Es sind immer die gleichen wenigen Menschen, die um diese Zeit zur Arbeit gehen. Und immer die gleichen wenigen Häuser, in denen schon Licht brennt. Man kann die Gedanken schweifen lassen, hat Bewegung und ist an der frischen Luft. Im Sommer fangen ab 3.30 Uhr die Vögel an zu zwitschern. Das liebe ich.“ Natürlich kann sie den Nebenverdienst auch gut gebrauchen, kommt sie doch mit ihrem normalen Lohn „gerade so hin“: Außerplanmäßige Ausgaben sind kaum abgedeckt.

Wie in jedem Job gibt es auch beim Zeitungaustragen kleine Durststrecken zu überwinden. Nicht immer scheint die Sonne und ganz selten bleibt bei aller Umsicht am Ende der Tour noch die eine Zeitung übrig: „Man geht dann gedanklich den ganzen Weg nochmals durch.“ Kleine Denksportaufgaben hält die Urlaubszeit bereit: „Man muss schon genau aufpassen, wer wann die Zeitung während des Urlaubs abbestellt.“

Silke möchte noch lange austragen: „So lange ich laufen kann, mache ich das – und solange es noch Zeitungen in Papierform gibt.“ Die 50-Jährige bekommt hautnah mit, dass viele junge Menschen auf eine gedruckte Zeitung verzichten: „Früher hatte fast jedes Haus ein Abo, das ist heute bei weitem nicht mehr der Fall.“ Es scheint aber auch gegenläufige Trends zu geben: „Mein 24-Jähriger Sohn beispielsweise studiert jeden Abend die Zeitung Seite für Seite.“ Allerdings gibt es diese bei Silke von Berufswegen kostenlos.