20.10.2021

ENRW-Strom für Benz-Markt

russische Lebensmittel und osteuropäische Spezialitäten

„Hier sind wir die Russen und in Russland waren wir die Deutschen.“ Die Geschichte der Russlanddeutschen hat Irina Benz geprägt. Sie erzählt viel vom Leid und vom Unrecht, das ihre Familie erdulden musste. Aber auch vom Zusammenhalt zwischen Russlanddeutschen, die ein gemeinsames Schicksal eint. Irina, geboren 1965, wuchs während der 1970er Jahre im Kaukasus auf. Ihren Opa kannte sie nicht. Dieser kam während des Zweiten Weltkriegs allein wegen seines Vornamens „David“ ins KZ Litzmannstadt und musste beweisen, dass er von Deutschen abstammte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb er in Deutschland, um als Dolmetscher zu arbeiten. Damit war eine Rückkehr nach Russland unmöglich. Irinas Mutter stand wegen ihres Vaters unter ständiger Beobachtung der sowjetischen Sicherheitsdienste. 44 Jahre waren Vater und Tochter getrennt, bevor es David Stoll 1985 gelang, heimlich als Tourist nach Jalta auf die Halbinsel Krim zu reisen, um seine Familie zumindest kurz zu sehen: „Wie kann die Politik einem Menschen so viel Leid zufügen?“ fragt sich Irina bis heute.

1989 nach Öffnung des Eisernen Vorhangs gelang ihr die Übersiedlung nach Deutschland. Doch leider war Opa David ohne ihr Wissen bereits im Januar 1989 verstorben. Sie landete in einem Übergangswohnheim in Isny. Dort lernte sie 1990 ihren späteren Mann Jakob Benz kennen, der gerade aus Russland angekommen war und in Spaichingen lebte. Sein Vater Leo Benz hatte stets die Familie eingeschworen, „zurück in unsere Heimat Deutschland zu gehen.“ Nun war auch er in dem Land, das er bislang nur aus Erzählungen kannte.

Jakob und Irina heirateten, ließen sich in Geisingen nieder und bauten ein Haus. 1999 wagten sie den Schritt in die Selbständigkeit. Um über Eigenkapital zu verfügen, veräußerten sie ihr Haus wieder und eröffneten in einem ehemaligen REWE-Markt in Immendingen das erste Geschäft mit osteuropäischen Produkten. Das Angebot kam an. Russlanddeutsche und Gastarbeiter aus der ganzen Region fanden bei der Familie Benz den Geschmack ihrer Kindheit.

Bis heute besuchen aber bei weitem nicht nur ältere Menschen den Lebensmittelmarkt: „Ich bin ja in Deutschland geboren, aber meine Geschwister und ich sind immer noch mit diesen Gerichten und Rezepten aufgewachsen. Meine Oma hat uns oft bekocht“, erzählt Irinas und Jakobs 30-jährige Tochter Anna. So wie ihr geht es vielen jungen Deutschen mit osteuropäischen Wurzeln.

2001 verlagerte die Familie Benz ihren Markt in die Rottweiler Königstraße.

Auch hier bildete sich schnell ein zufriedener Kundenstamm. Für Irina liegt das Erfolgsrezept auf der Hand: „Wir sind kein anonymer Supermarkt, sondern vermitteln immer noch dieses ‚Tante-Emma‘-Gefühl.“ Jedem Kunden werde zugehört und auch Sonderwünsche seien willkommen. Nicht ohne Grund sind alle Angestellten russischsprachig: „Sie müssen natürlich die Produkte kennen.“ Darüber hinaus stehe gute Qualität über allem: „Ich verkaufe nur das, was ich auch meinen Kindern geben würde!“ Die Produkte stammen aus dem gesamten ehemaligen Ostblock, beispielsweise aus Ungarn, Bulgarien, Polen, Moldawien, Tschechien oder Litauen. Natürlich bezieht die Familie Benz aber auch Waren aus Deutschland und der Region: „Beispielsweise Brot, Eier, Obst, Gemüse oder Fleisch.“

In Zusammenarbeit mit dem russlanddeutschen Investor und Bauunternehmer Alexander Ibach aus Rottweil entstand dann 2013 „auf der grünen Wiese“ an der Schramberger Straße der bis heute bestehende und knapp 800 Quadratmeter große neue Lebensmittelmarkt. Irina lobt noch heute das gute Miteinander mit Ibach: „Typisch für eine ethnische Minderheit halten Russlanddeutsche zusammen. Diesen Zusammenhalt haben wir quasi mit der Muttermilch aufgesogen.“

Bei Familie Benz kommen viele Nationalitäten auf Ihre Kosten. So finden beispielsweise Rumänen ihre Wurst mit Knoblauch und Pfeffer oder eingelegten Paprika. Asiaten kommen wegen Glasnudeln, Italiener wegen Meeresfrüchten und der Fischtheke. Türken decken sich mit Sonnenblumenkernen und Tee ein. Russischsprachige Kunden finden auf einer zwölf Meter langen Auslage russische Bonbons jeglicher Form und Couleur, außerdem russische Namenstassen oder Zubehör für ihr liebstes Hobby: dem Saunieren. Beliebt über viele Ländergrenzen des Ostens hinweg: gezuckerte Kondensmilch – das „Nutella“ des ehemaligen Ostblocks – sowie eingelegte Tomaten und Gurken – ohne Essig, dafür mit Salz, Knoblauch und Dill. „Bei Euch finden wir Sachen, die es sonst nirgends in der Region gibt“ – diesen Satz hört Familie Benz häufig.

Längst haben auch die Rottweiler den Markt für sich entdeckt: „Es hat ein wenig gedauert, aber mittlerweile nach 20 Jahren kommen auch viele Kunden, die von hier stammen.“ Ein großes Lob gibt es für die zuständigen Behörden: „Egal ob Stadtverwaltung oder Gesundheitsamt – wir fühlen uns sehr gut betreut.“ Selbstverständlich auch vom regionalen Energieversorger: gekühlt und beleuchtet wird natürlich mit dem Strom der ENRW.