18.07.2023

"Meine älteste Piercing-Kundin war 82!"

Gisela Hirte, Kosmetikstudio NewAge & TrendStyle Dietingen-Böhringen

Die Gesellschaft wandelt sich, öffnet sich und wird freier. Dies zeigt sich längst nicht mehr nur in Berlin, Hamburg oder München. Auch im Dietinger Ortsteil Böhringen im schönen Schlichemtal lässt sich das Tag für Tag beobachten. Hier am Ortsrand ist Gisela Hirte mit ihrem Kosmetikstudio im Dienst der Schönheit unterwegs. Und kommt manchmal aus dem Staunen nicht heraus: „Meine älteste Piercing-Kundin war 82 Jahre alt. Sie hat sich den größten Bauchnabelschmuck ausgesucht, den ich da hatte.“ Während noch vor zwanzig Jahren so manche Kundin Mitte 50 verschämt durch die Hintertür kam und ging („Gisela, aber sagsch nix, dass ich bei Dir war!“), lässt sich heute die 89-Jährige noch schöne Augenbrauen als Permanent Make-up auftragen, pubertierende Teenies kommen im Trupp zum Piercen oder junge Männer wegen ihrer Akne-Narben. „Die Frauen sind selbstbewusster und verstecken sich nicht mehr. Die Männer achten viel mehr auf sich, nicht nur bei der Bartpflege. Und längst sind die Zeiten vorbei, in denen irgendwelche Promis Trends setzen oder jede Frau ein Arschgeweih will. Die Menschen möchten vielmehr ihre Individualität betonen, gut aussehen, schön sein.“

Körperkult und Körperschmuck sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Auch auf dem Land. Mit Wucht. Da blieb für Gisela Hirte kaum Zeit zum Überlegen: „Immer mehr Kunden haben nach Piercing und Tattoo gefragt. Erst dachte ich, das passt nicht in mein klassisches System aus Kosmetik, Anti-Aging und Permanent Make-up. Ist mir zu vogelwild.“ Aber irgendwann hat die gelernte Visagistin aus Göppingen die neuen Herausforderungen angenommen, sich weitergebildet und ihr Angebots-Portfolio erweitert. Eine Spezialität der 57-Jährigen ist es mittlerweile auch, zu korrigieren oder zu entfernen, was Kolleginnen und Kollegen so alles fabriziert haben. Mittlerweile fahren beispielsweise Kundinnen und Kunden eine Stunde oder mehr, um sich in Böhringen ihr Tattoo mit einem speziellen Liquid entfernen zu lassen. Im Ranking ganz oben: der Name vom Ex-Partner. Es sind überwiegend Frauen, die sich diesen wieder vom Leib löschen wollen. Nicht ohne Grund plädiert Gisela Hirte deshalb bei Namens-Tattoos eindeutig für die Namen der Kinder oder des Haustiers.

Besonders gerne retouchiert sie Verzeichnungen im Gesicht. Bei Permanent Make-up kann viel schief gehen, wenn die Erfahrung fehlt: „Die Ergebnisse von Kolleginnen, die sich nach einem Zwei-Tages-Schnellkurs an Augenbrauen, Lippen und Lidstrich wagen, korrigiere ich dann wieder.“ Eine große Herausforderung, welche der 57-Jährigen viel Freude bereitet: „Es ist einfach wunderschön, wenn ein Gesicht wieder lebendig wird!“ Dazu braucht es ein großes Wissen rund um die Farben und Formenlehre: „Ich stelle mir bei der Farb-Retouche eine Camouflage-Palette vor, die für Hautveränderungen verwendet wird. Auf dieser Farbgrundlage ändere ich Permanent Make-up-Farben unter der Haut, die nicht gewünscht sind.“

Im Unterschied zu ihrer Tätigkeit als Visagistin, muss und möchte sie den Geschmack ihrer Kundinnen genau treffen: „Ich berate, aber die Frauen sollen die Entscheidung treffen. Das ist anders, als ein Model zu schminken. Und es ist dauerhaft. Augenbrauen sollen meiner Ansicht nach die Symmetrie des Gesichts betonen.“ Längst vorbei ist die Zeit der netten, braven „Einheitsaugenbrauen“ bei Frauen: zwei Drittel ansteigend und ein Drittel absteigend – heute ist alles möglich.

Egal ob Tattoo-Farbe, Pigment-Farbe fürs Permanent Make-up oder Entfernungs-Liquide – Gisela Hirte testet alles erst an sich, bevor es an die Kunden geht: „Ich bin hochgradig allergisch gegen viele Stoffe, deshalb behandle ich mich erst selbst.“ Konservierungs- oder parfümierte Stoffe haben sowieso Hausverbot. Nach wie vor ist die 57-Jährige ganz klassisch auch noch eine HAUTfrau. Menschliche Haut fasziniert sie: „Es ist unser größtes Organ, unsere Schutzbarriere, der Türsteher unseres Körpers. Und sie ist nur so intakt, wie man sie pflegt.“ Man müsse erst verstehen, warum die Haut faltig wird, warum Krähenfüße und Zornesfalten entstehen. Dann könne man damit beginnen, dem Gesicht wieder „mehr Jugend zu geben, es frischer zu machen“. Klassische Gesichtsmasken und händische Hautbehandlung sind dabei oft nicht ausreichend: „Ich biete apparative Kosmetik an, das heißt, ich nutze Geräte, um beispielsweise verhornte Haut abzutragen.“ Auch für die Entfernung von Narben werden diese eingesetzt. Ein Thema, das einen sensiblen Umgang verlangt: „Narben stellen für viele Menschen eine psychische Belastung dar.“ Egal ob Narbenentfernung oder andere Behandlungen: Gisela Hirte möchte zu ihren Kundinnen und Kunden ein Vertrauensverhältnis aufbauen: „Ich will sie auffangen mit ihren Sorgen und Problemen, wenn sie bei mir sind. Oft biete ich das ‚Du‘ an, beim Piercen sowieso.“

Stichwort „Piercen“. Hier betont die Expertin, wie wichtig es ist, ein Material zu verwenden, das möglichst wenig Nickel aufweist. Nickel ruft am häufigsten eine Kontaktallergie hervor. Der Körper reagiert auf Nickel oft mit starkem Juckreiz, Rötungen und Bildung von Quaddeln an den Hautstellen, die mit dem Metall in Berührung gekommen sind. Gisela Hirte nutzt stattdessen Titan oder medizinische Implantate mit einem äußerst geringen Anteil an Nickel. „Ich reagiere außerdem auf Ohrlochpistolen allergisch“, erklärt sie lachend, „in Fleisch etwas einschießen, geht gar nicht.“ Sie benutzt eine Venenverweilkanüle, um schonend das Schmuckteil in die Haut zu bringen.

Gefühlt werden an die Wahl-Böhringerin monatlich zwanzig neue Körperstellen für Piercings herangetragen. Ihre Meinung dazu ist klar: „Alles, was ich durchführe, auch bei Permanent Make-up oder der Kosmetik, muss adäquat verheilen können. Intim-Piercings, Implantate oder Zungenspalten mache ich nicht.“ Zum sehr ausgeprägten Körperkult der Gegenwart hat sie eine klare Meinung: „Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen sich nicht für die Umgebung, für ihr Umfeld schön machen. Sondern für sich selbst, aus Respekt gegenüber dem eigenen Körper, der mit seinem perfekten Zusammenspiel doch die genialste Erfindung der Evolution überhaupt ist.“

Permanent Make-up

Permanent Make-up (PMU) (auch Pigmentierung) ist die Bezeichnung für spezielle kosmetische Tätowierungen im Gesicht, durch die mehrjährig haltbare künstliche Lidstriche, Augenbrauen oder Lippenkonturen erzeugt werden.

Tattoo

Eine Tätowierung ist ein Motiv, das mit Pigmentfarben in die Haut eingebracht wird. Dazu wird die Tätowierfarbe in der Regel durch eine oder mehrere Nadeln in die zweite Hautschicht gestochen und dabei ein Bild, Zeichen, Muster oder Text gezeichnet.

Piercing

Piercing meint Schmuck in Form von Ringen oder Stäben, die an verschiedenen Stellen des menschlichen Körpers durch die Haut und darunter liegendes Fett- oder Knorpelgewebe hindurch angebracht wird.