17.07.2023

"Künstliche Wimpern machen selbstbewusst!"

Diana Schulz, 26 Jahre alt, Nageldesignerin und Wimpernstylistin in Rottweil

Dianas Arbeitsmaterial ist klein, sehr klein. Es passt in eine schuhkartongroße Kiste. In ein paar Plastikkästchen liegen sie: winzige dünne Härchen, geordnet nach Länge: von acht Millimeter bis zu 13 Millimeter. Überwiegend schwarz. Ein kleines Knäuel in Rot. Bestellbar wären auch welche mit Steinchen. Willkommen in der Welt der falschen Wimpern!

Dianas Job ist es, auf echte Wimpern künstliche zu kleben. Ein Härchen nach dem anderen. Wahlweise mit der „Volumen-Technik“ oder der „1:1-Technik“. Bei der Volumen-Technik werden künstliche Wimpern auf die Naturwimpern geklebt. Nicht nur eine pro Naturwimper, sondern mehr, meist ein Fächer aus mehreren künstlichen Wimpern. Bei der 1:1-Technik kommt auf eine natürliche Wimper eine künstliche. Rund eineinhalb Stunden dauert diese Prozedur. 100 Wimpern rechts, 100 Wimpern links. Dianas einziges Werkzeug ist die Pinzette. Dass während dieser filigranen Arbeit auch geredet wird, versteht sich von selbst: „Die ganze Zeit zu schweigen, wäre ja auch unangenehm. Ich bin deshalb automatisch auch Freundin, Kummerkasten und Ratgeberin in einem.“

Der neueste Schrei nennt sich übrigens „Wimpernverlängerung mit UV- Licht“. Diese Technik ermöglicht es nun auch Frauen, welche auf Kleberdämpfe allergisch reagieren, eine Wimpernverlängerung zu tragen. Das Allergierisiko sinkt um rund 80 Prozent. Aber auch alle „Nicht-Allergikerinnen“ haben nur Vorteile dadurch. Der Klebstoff trocknet sofort. Wasserkontakt ist umgehend möglich. Die Wimpern halten länger, verkleben nicht mehr und sind resistent gegenüber Temperatur sowie Luftfeuchtigkeit. Mehr als vier Wochen hält dieses Konstrukt, dann geht es wieder auf Dianas Liege zum Auffrischen.

Diana Schulz ist gelernte Altenpflegerin. Die 26-Jährige hat zwei kleine Kinder mit vier und zwei Jahren. Das dritte Kind ist unterwegs. Bei der Suche nach einer Alternative zu ihrem gelernten Beruf mit anstrengender Schicht- und Wochenendarbeit ist sie in der Selbständigkeit gelandet: „Ich wollte mir meine Arbeitszeit selbst einteilen können.“ Inspiriert von ihrer Schwägerin ließ sie sich in Sachen Wimpern und Nägel schulen. Seit Oktober besteht nun ihr neues kleines Home-Studio im Rottweiler Ortsteil Neufra. Statt Aktenordner und Schreibtisch („Eigentlich wollte mein Mann hier sein Büro einrichten“) verwandelte sich ein helles EG-Zimmer im neu gebauten Eigenheim in einen kleinen Beauty-Salon. Sie selbst trägt gerade künstliche Wimpern, die durch ein Magnetband gehalten werden: „Durch den veränderten Hormonhaushalt während der Schwangerschaft hält es anders nicht.“

Ihre Kundinnen (bislang war noch kein Mann im Studio) sind in der Regel junge Frauen aus der Region um Rottweil zwischen 18 und 27 Jahren: „Viele haben auch kleine Kinder, da muss es schnell gehen morgens. Zeit zum Schminken gibt es keine. Die geklebten Wimpern sind da ideal. Kurz durchbürsten und fertig.“ Und Wimperntusche braucht es auch keine mehr. Viele ihrer Kundinnen schminken ihr Gesicht nicht und beschränken sich komplett auf die künstlichen Wimpern. Manche Frauen haben nur kurze oder keine dichten Wimpern. Auch hier hilft Diana, die über ihre Website eine Online-Termin-Buchung anbietet.


„Wimpern machen hat schon Sucht-Potential“ – da legt sie sich fest. „Ich bin ja hautnah dabei. Viele freuen sich total auf den Termin alle drei Wochen und gehen hübsch sowie voller Selbstbewusstsein wieder bei mir aus der Tür hinaus in die Welt.“ Eine Kundin kommt sogar alle zwei Wochen, für sie müssen die Wimpern immer perfekt sein. Und wie stehen die männlichen Partner zum Kunsthaar am Auge? „Die Männer sind in der Regel gar nicht begeistert. Die hätten es am liebsten komplett natürlich. Aber die Frauen machen es trotzdem.“ Gut für Diana und ihr kleines Business.

Worin liegt nun der besondere Effekt von künstlichen Wimpern? „Die Augen wirken optisch größer und das ist ein absoluter Blickfang, es wertet das Gesicht auf“, sagt Diana. Würden die Augen richtig betont, verleihen sie dem ganzen Gesicht ein ausdrucksstarkes Erscheinungsbild und der Trägerin einen betont femininen Look.

Schon die Frauen im alten Ägypten bemalten Wimpern und Lider mit Kohle, um die Augen voller erscheinen zu lassen. Im 19. Jahrhundert wurde empfohlen, regelmäßig die Spitzen der Naturwimpern zu schneiden, um deren Wachstum zu fördern. Ab 1903 konnten die Frauen in Europa künstliche Streifenwimpern aus Menschenhaar erwerben, die an Fischhaut befestigt waren. Die ersten aufklebbaren Wimpern gab es ab 1911 in Amerika, erfunden von der Kanadierin Anna Taylor. Populär wurden die „Fake Lashes“ allerdings erst während der 1920er Jahre. Großen Anteil hatte dabei die Entwicklung der Filmindustrie, da viele Schauspielerinnen bereits in den ersten Stummfilmen falsche Wimpern trugen. Dies sollte zunächst lange so bleiben: Hollywoodstars wie Greta Garbo, Rita Hayworth und Marilyn Monroe trugen künstliche Wimpern beim Fotoshooting sowie bei Filmaufnahmen, um ihre Augen größer und ausdrucksstärker erscheinen zu lassen.

Erst mit Beginn der 1970er Jahre setzte eine Trendwende ein und künstliche Wimpern verschwanden zunehmend aus den Gesichtern der Frauen. Doch schon in den 1990er Jahren sorgten Pamela Anderson und Anna Nicole Smith oder das Model Cindy Crawford für ein Comeback. Auch entwickelten sich die Materialien weiter, wobei immer häufiger die künstlichen Wimpern als Wimpernstreifen zum Einsatz kamen. Ebenso wurden spezielle Wimpernkleber entwickelt, damit die künstlichen Wimpern länger hielten.

Anfang des 21. Jahrhundert kam es zu einer Perfektionierung der Wimpernverlängerung. Für den Massenmarkt waren in Japan und Korea synthetische Einzelwimpern entwickelt worden, die mittlerweile auch längst in veganen oder „Cruelty Free“-Varianten erhältlich sind. Ganz besonders extravagant mochte es beispielsweise Jennifer Lopez, die bei den Academy Awards 2001 Wimpern aus Rotfuchs trug. Drei Jahre später präsentierte sich Madonna mit Nerz- und Diamant-Wimpern im Wert von 10.000 Dollar.

Sorge, dass künstliche Wimpern wieder komplett aus der Mode kommen, hat Diana nicht: „Ich schätze, dass bundesweit rund die Hälfte der jungen Frauen da draußen künstliche Wimpern tragen.“ Und falls doch? „Dann lasse ich mich eben in die Geheimnisse des Permanent-Make-up einweihen.“