17.07.2023

"Man lebt nur einmal!"

Sorscha Busch aus Stetten und Ralf Schulz aus Neufra - ein ganz besonderes Vater-Tochter-Gespann

Ich sitze Ralf und Sorscha gegenüber – und weiß gar nicht, wo ich zuerst hinschauen soll. Ralfs außergewöhnlicher, bunt tätowierter Arm. Oder sein kunstvoller Bart, den er mit 52 Jahren mehr als stolz trägt. Daneben die schöne Sorscha, 28 Jahre jung, reichlich tätowiert, mit langen, blonden Haaren und Nasenpiercing. Die beiden fallen auf. Zusammen und jeder für sich.

Wer nun glaubt, Sorscha sei bereits in einer Familie voller Körperkunst aufgewachsen, liegt weit daneben: „Es gibt keinen Kult bei uns. Jeder macht sein Ding und wird dabei voll und ganz akzeptiert“, erzählt die gelernte Friseurin und Mutter zweier Kinder, „im Gegenteil. Meine Mutter und meine Oma waren total gegen Tattoos. Ging sogar so weit, dass zeitweise kein Kontakt mehr bestand.“

Der Beginn ihrer Tattoo-Reise liegt lange zurück. Ihr erster fester Freund ließ sich leidenschaftlich oft tätowieren. Und schwupps fand sich auch die damals erst 14-Jährige im Hinterzimmer eines Bekannten wieder – mehr als einmal: Drei Sterne – für ihren Bruder, ihre Schwester und ihre Mutter – waren der Anfang. Heute lassen sich die für die Ewigkeit unter die Haut gebrachten Motive nicht mehr zählen. Es folgten Piercings – Stahl in der Haut als Zeichen ihrer rasanten „Sturm und Drang“- Phase. Ein paar sind immer noch da, unter anderem in der Nase.

Sorscha hatte immer schon ein Faible für stark tätowierte Frauen. „Ich finde das sehr schön und sexy, so war es schon immer. Ich wollte immer genauso wie diese hübschen Frauen sein.“ Hübschen Menschen nacheifern – das klingt erst einmal nach Kult. Mittlerweile wird auch Sorscha nachgeeifert. Ihre jüngere Schwester teilt die Liebe für die Tinte unter der Haut. Einige der Motive, die im Laufe der Jahre ihren Platz auf Sorschas Körper gefunden haben, sind bedeutungsvolle „Schwestern-Tattoos“. Zum Beispiel der Schriftzug am Handgelenk: „Together forever never apart“ – ihre Schwester trägt die Fortsetzung: „Maybe in distance but never in heart“. Für Sorscha sind die Tattoos in erster Linie Kunst. Sie sieht sich selbst als Kunstwerk – auf ihrem Instagram-Kanal lassen sich die zahlreichen Shootings bewundern, die sie bereits absolviert hat: „Ich mag meine Tattoos zeigen. Ich zeige gerne, dass ich nicht ‚0815‘ bin.“ Komische Blicke oder Gerede berühren sie nicht: „Man will ja so aussehen und entscheidet sich bewusst dafür. Da darf und soll man das auch zeigen. Ist mir total egal, was die Leute denken.“

Die Leute. Das sind die Einwohner des Heimatdorfes von Sorscha. 600 Seelen. Sehr klein. Gibt’s da kein Getuschel? „Klar. Ich werde immer erst Mal komisch angeschaut. Es gibt viel Geschwätz und Vorurteile, besonders bei den älteren Menschen.“ Papa Ralf ergänzt: „Es ist definitiv ein Unterschied, ob Stadt oder Dorf.“ Tätowierte Menschen würden immer noch in die Schublade „asozial“ gesteckt. Dabei ist der Hausmeister eines Kindergartens ein „ganz normaler Mensch“, verbringt viel Zeit mit der Familie und reist gerne mit dem Wohnmobil durch Europa. Oder 700 Kilometer nach Österreich, um sich den Traum eines ganz besonderen Tattoos zu erfüllen – mehrmals. Ein spezieller Tätowierer sollte es sein: „Die Chemie hat sofort gestimmt. Er wusste genau, was ich will,“ erzählt Ralf mit einem Leuchten in den Augen, „es ist sogar noch besser geworden, als ich es mir vorgestellt habe!“

Aber nicht nur sein bunter Arm ist ein Hingucker. Ralf ist Süddeutscher und Deutscher Meister sowie Olympiasieger. Heute kommt er frisch von der Weltmeisterschaft im bayerischen Burghausen – und bringt den Vizeweltmeistertitel mit nach Rottweil! Kategorie „Kaiserlicher Schnauzbart“. „Mein Schwiegervater fragte irgendwann, ob ich nicht Lust hätte, mir einen Bart stehen zu lassen und an Wettkämpfen teilzunehmen“ berichtet der 52-Jährige. Das ist jetzt acht Jahre her.

Einige Titel hat er seither gesammelt und noch einiges mehr an Erfahrung. Wie sein Schwiegervater lebt auch er die Gemeinschaft der Bartträger im Schwäbischen Bart- und Schnauzerclub Schömberg. Kunst oder Kult? „Es ist definitiv eine Kunst, eine hohe Kunst. Was aus einem Bart gemacht werden kann, sucht seinesgleichen.“ Aus Vollbärten werden zum Teil ganze Skulpturen geformt, zum Beispiel der Eiffelturm. Das ganze ohne irgendwelche Hilfsmittel, bis auf gängige Styling-Produkte.

Kann er sich vorstellen, seinen Bart abzurasieren? Ralf hat schon ein paar Mal mit dem Gedanken gespielt. „Döner zu essen ist schon arg anstrengend mit so einem Bart“ erzählt er schmunzelnd. Aber am Ende ist ihm die besondere Gesichtsbehaarung heilig und der Rasierer landet wieder im Schrank.

Ob Kunst oder Kult, Veränderungen am Körper sollten nicht aus der Motivation heraus geschehen, gesellschaftlichen Idealen entsprechen zu wollen: „Das ist für mich die Grenze“ erklärt Sorscha, „wenn man es für andere macht und nicht für sich selbst.“ Nur für sich selbst ist die junge Mutter vor ein paar Monaten nach Prag gereist und hat neben den unzähligen Tattoos eine weitere, einschneidende Veränderung an ihrem Körper vornehmen lassen – im wahrsten Sinne des Wortes.

„Ich war noch nie glücklich mit meinen Brüsten, viel zu klein für meinen Körper. Dann bin ich Mutter geworden. Zwei Schwangerschaften, zwei Babys gestillt – da saß dann nichts mehr dort, wo es hingehört.“ Insbesondere durch ihr Hobby, besondere Foto-Shootings, in denen zum Teil auch viel Haut zu sehen ist, hat sie ein spezielles Körperbewusstsein. Sorscha fühlte sich nicht mehr wohl und der Wunsch nach einer Brustkorrektur wurde immer stärker. Nach eingehender Fachberatung war für die Rottweilerin klar: Eine Bruststraffung mit Implantaten sollte es sein. Nicht so ohne, so ein Eingriff. „Die OP fand unter Vollnarkose statt. Aber das Team war sehr routiniert und professionell, die machen solche Korrekturen mehrmals am Tag. Ich hatte keine Sorge“ berichtet Sorscha. Und jetzt? Sechs Wochen Kompressions-BH auch bei 25 Grad im Schatten: „Natürlich ist es unangenehm. Durch den Heilungsprozess juckt es, und es ist so warm! Aber ich weiß, dass danach alles schön aussehen wird, und ich mich endlich wieder richtig wohl fühlen kann.“ Man sieht ihr an, wie viel es ihr bedeutet, sich diesen Traum erfüllt zu haben.

Ob Schönheits-Operationen eher Kunst oder Kult sind, darüber sind sich Ralf und Sorscha einig: „Ein schmaler Grad. Es muss in die Gesellschaft passen. Haarimplantate oder Permanent Make-Up sind zum Beispiel total akzeptiert.“ Kunst-Tattoos oder auch schönheitschirurgische Eingriffe hingegen seien immer noch sehr umstritten. Ob Kunst oder Kult, für das sympathische Vater-Tochter-Duo ist klar: „Man lebt nur einmal. Jeder Mensch muss selbst wissen und entscheiden, was für ihn selbst schön ist. Man sollte sich nicht zu sehr von der Meinung der anderen oder von gesellschaftlichen Erwartungen abhängig machen. Außerdem wäre es ja auch langweilig, wenn alle gleich aussehen würden.“