12.04.2022

Energiezufuhr

durch den Blick von Außen

In Millionen von Kinderzimmern weltweit lässt sich der Traum von Wänden ablesen. Der Traum, irgendwann Profisportler zu werden. Da hängen sie an den Wänden, die Ronaldos, Messis und Neymars, aber auch die Draisaitls (Eishockey), die Durants (Basketball) oder die Djokovics (Tennis). Helden (wir vergessen an dieser Stelle die sportlichen Heldinnen nicht, aber sie hängen halt noch nicht im Kinderzimmer, sorry), die es geschafft haben. Moderne Gladiatoren, die sich Woche für Woche von den Massen bejubeln lassen für sportliche Höchstleistungen.

Diesen absoluten Superstar-Status genießen Handball-Spieler hierzulande zwar nicht, doch die Deutschen mögen Handball. Die ersten beiden Profiligen hierzulande können mit Zuschauerzahlen aufwarten, die im Ausland nur ungläubiges Staunen hervorrufen. Bei großen Turnieren fiebern Millionen Menschen mit der A-Nationalmannschaft mit und auch die Medien zeigen traditionell großes Interesse. Zwar schaffen es die Handball-Ikonen nur selten an die Wand der Kinderzimmer, dennoch sind Namen wie Heiner Brand, Erhard Wunderlich oder Andreas Thiel (für die älteren) und Stefan Kretzschmar, Uwe Gensheimer oder Andreas Wolff (für die etwas Jüngeren) durchaus bekannt in der Republik.

 

Strobel coacht junge Talente als Elite-Mentor

In Deutschland spielen derzeit mehr als 300.000 Kinder und Jugendliche Handball. Um aus diesem Spielerreservoir die besten Talente herauszufiltern, gibt es wie in anderen Sportarten Jugendnationalmannschaften. Beginnend mit 14 oder 15 Jahren sollen hier die Jugendlichen früh gefördert und geschult werden. Irgendwann sollen möglichst viele davon in den A-Nationalmannschaften der Frauen und Männer auftauchen. Seit 2013 betreibt der Deutsche Handballbund (DHB) darüber hinaus noch eine ganz spezielle Art der Förderung. Ein sogenannter „Elite-Mentor“ kümmert sich gezielt um die knapp 20 Top-Talente des deutschen Handballs.

Und nun kommt die HIERBLEIBER-Region im wahrsten Sinn des Wortes „ins Spiel“. Der neue „Elite-Mentor“ des DHB ist kein geringerer als Martin Strobel aus Rottweil-Hausen: Handball-Europameister 2016, Bronze-Medaillen-Gewinner bei den Olympischen Spielen 2016, langjähriger Bundesliga-Spieler des HBW Balingen-Weilstetten und des TBV Lemgo. Die neue freiberufliche Aufgabe kommt dem 35-Jährigen sehr entgegen: „Der ganzheitliche Ansatz in der Betreuung und Beratung der deutschen Top-Talente weist zahlreiche Schnittmengen auf zu meinen neuen Aufgaben als selbstständiger Berater, Coach und Buchautor.“

So geht es bei diesem Job nicht darum, wie ein Trainer die Talente spielerisch oder taktisch zu schulen, sondern vielmehr die persönliche und sportliche Entwicklung beratend zu begleiten. Und dies neutral, ohne finanzielle Interessen: „Es geht um künftige Führungsspieler, die Verantwortung übernehmen sollen, da spielt der Kopf oft die entscheidende Rolle.“ Neben vielen Telefonaten und Online-Meetings besucht der ehemalige Weltklasse-Spielmacher seine derzeit noch zehn Schützlinge ein bis zwei Mal im Jahr persönlich.

 

Sportliche Entwicklung steht im Vordergrund

Ob Hannover, Magdeburg oder Gummersbach – der Weg führt in aller Regel auch in die jeweilige Schule und zu den Eltern: „Es geht darum, dass der Junioren-Nationalspieler seine schulische Laufbahn weiterhin im Blick hat. Der Profisport ist hart. Es kann ganz schnell vorbei sein.“ In der Familie müssen beispielsweise ganz praktische Herausforderungen gemeistert werden, wie beispielsweise Fahrdienste. Oder es stehen Entscheidungen über einen möglichen Vereinswechsel an: „Aufgrund meiner Erfahrung kann ich hier schon helfen, Angebote zu bewerten, nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern vor allem im Kontext der sportlichen Entwicklung.“ Macht ein Wechsel von der zweiten in die erste Bundesliga jetzt schon Sinn? Oder kommt der Sprung noch zu früh?

Der Austausch mit dem jeweiligen Vereinstrainer („Wie plant der Verein mit dem Spieler?“) sowie die Themen „Richtige Regeneration“, „Anti-Doping“ oder „Mentales Training“ gehören ebenfalls zum Kanon des Elite-Mentors: „Gerade in Drucksituationen oder bei Formkrisen ist die Psyche gefragt.“ Über allem strahlt das große Ziel, durch die intensive Betreuung der Top-Talente mittelfristig die A-Nationalmannschaften erfolgreicher zu machen: „Auf internationalem Parkett fehlt uns doch immer wieder mal das nötige Selbstvertrauen. Wir machen uns oft kleiner, als wir sind und gehen zu wenig ins Risiko. Daran gilt es, zu arbeiten.“ Vielleicht, so vermutet Strobel, ist auch der „Zufriedenheitsmodus“ im deutschen Handball zu ausgeprägt: „Die Hallen sind voll, es geht uns gut.“ Die absolute Gier, auch auf internationaler Ebene die Besten zu sein, fehle vielleicht ein wenig.

 

Mentales Training gegen Formkrisen

Martin Strobel jedenfalls ist überzeugt vom Sinn seiner Aufgabe: „Ich hätte mir früher als Spieler auch solch einen externen Blick gewünscht.“ Und er brennt für sie: „Sport ist mein Leben. Von meinen Erfahrungen etwas weiterzugeben, macht mir riesigen Spaß.“ Entwicklungsschritte mitzuerleben, wie beispielsweise jüngst bei Julian Köster während der Europameisterschaft, bereiten dem ehemaligen Profisportler viel Freude: „Julian hat durch die Corona-Ausfälle mehr Spielzeit bekommen als gedacht und sehr ordentlich gespielt.“ War der „Elite-Mentor“ schon als Spieler extrem ehrgeizig und fokussiert, so gilt dies nun auch für den nächsten Lebensabschnitt: „Viele Leute kennen mich noch als Handballer, ich möchte aber nun auch in anderen Bereichen Spitzenleistungen bringen.“ 

Veit Mävers (21) vom Handball-Bundesligisten TSV Hannover-Burgdorf über Elite-Mentor Martin Strobel:

Der regelmäßige Austausch mit Martin Strobel ist ein absoluter Gewinn für mich. Er hilft mir, im sportlichen Bereich an meinen Schwächen zu arbeiten, aber nicht nur das. Auch im mentalen Bereich profitiere ich von seiner großen Erfahrung. Er vermittelt mir Strategien, wie ich mit Drucksituationen oder schlechten Phasen umgehen kann.

Veit Mävers ist 21 Jahre alt und spielt auf der Position „Rückraum Mitte“. Er begann mit dem Handballsport in seinem Geburtsort beim VfL Hameln. 2014 wechselte er in die Jugendabteilung der TSV Hannover-Burgdorf. In Hannover durchlief Mävers alle Jugendmannschaften und spielte früh schon mit der zweiten Herrenmannschaft in der 3. Liga. Während der Saison 2018/2019 konnte sich der junge Spieler erstmals in der Handball-Bundesliga beweisen. In 25 Spielen erzielte er 18 Tore.

In der Saison 2020/2021 absolvierte er als Rückraumspieler alle 38 Ligaspiele. Ihm gelangen 41 Tore. Mävers durchlief alle Jugend-Nationalmannschaften. In der laufenden Saison wurde der 21-Jährige erst in den erweiterten Kader der deutschen Handball-Nationalmannschaft für die Europameisterschaft 2022 berufen und anschließend im Frühjahr 2022 für den Kader der deutschen Nationalmannschaft nominiert.

Der ehemalige Handball-Nationalspieler Martin Strobel aus Rottweil-Hausen (Mitte oben) betreut als „Elite-Mentor“ Spitzen-Talente des deutschen Handballs. Hier der Blick in ein Online-Meeting mit Veit Mävers (TSV Hannover-Burgdorf, rechts unten), Niclas Heitkamp (SC DHfK Leipzig, links unten), David Späth (Rhein-Neckar Löwen, rechts Mitte), Nils Lichtlein (Füchse Berlin, rechts oben) und Fynn-Luca Nicolaus (TVB Stuttgart, links oben). In der Mitte unten: Jochen Beppler, Chef-Bundestrainer Nachwuchs des Deutschen Handballbundes (DHB).