12.04.2022

Energiezufuhr

durch Akupunktur

Wenn Laien das Wort „Akupunktur“ hören, denken sie meist an kurze, dünne Nadeln, die man in den Körper steckt. Aber warum und wieso ist vielen Menschen nicht bekannt. Das Online-Lexikon „Wikipedia“ vermeldet: „Eine therapeutische Wirksamkeit über den Placeboeffekt hinaus konnte bislang nicht wissenschaftlich signifikant gezeigt werden.“ Dem widerspricht die Medizinerin Dr. Claudia Focks. Sie lebt in Rottweil und zählt in Europa zu den renommiertesten Expertinnen für chinesische Medizin im Allgemeinen und Akupunktur im Speziellen: „Akupunktur gibt es in Asien bereits seit über 2.000 Jahren, wie Grabbeigaben belegen. Längst zeigen groß angelegte Studien, dass Akupunktur bei Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Migräne oder chronischen Gelenkschmerzen helfen kann und nicht zuletzt auch deshalb Teil der Kassenleistung wurde.“ 

Mittlerweile liegen Forschungen zu Akupunktur-Punkten vor, die weit entfernt vom Schmerzort liegen. Werden diese gestochen, reagieren Muskeln, Nerven oder Hautzonen an anderen Teilen des Körpers. Kernspintomographie-Aufnahmen belegen beispielsweise, dass der Punkt am Fuß, welchen die chinesische Medizin mit dem Sehvermögen in Verbindung setzt, im Gehirn tatsächlich eine Aktivierung des Sehzentrums auslöst.

Akupunktur ist neben anderen Methoden wie die chinesische Arzneitherapie, Tuina-Massage, Tai-Chi und Qigong eine zentrale Säule der chinesischen Medizin: „Diese betrachtet den Menschen als Wesen, dessen Lebensenergie (Qi) aus der Interaktion von Himmel (Yin) und Erde (Yang) resultiert. Wer im Einklang mit diesen Gesetzmäßigkeiten lebt, bleibt körperlich und geistig gesund. Disharmonien und Blockaden stören den Energiefluss und verursachen Beschwerden“, erläutert die gelernte Fachärztin für Anästhesie. Die Wirkweisen von Akupunktur basieren somit vereinfacht gesagt auf einer Art Energiekreislauf im Körper.

 

Akupunktur als zentrale Säule der chinesischen Medizin

Bei der Akupunkturbehandlung werden feine Nadeln in bestimmte Körperpunkte, die sogenannten „Akupunktur-Punkte“, gestochen. Das Ziel einer Akupunkturbehandlung ist die Beeinflussung des Lebensflusses, des „Qi“. Das „Qi“ durchströmt den Körper in Leitbahnen, an denen die Akupunkturpunkte liegen. Durch das Einstechen von Akupunkturnadeln beeinflusst der Akupunkteur den Energiefluss der entsprechenden Leitbahn. Dies löst Blockaden auf. Der Qi-Fluss wird beschleunigt oder verlangsamt – je nach Bedarf und den zu behandelnden Beschwerden. Die Palette an möglichen Effekten ist groß: Schmerzlinderung, Regulierung der Muskelspannung, Stärkung des Immunsystems, Einfluss auf Hormonkreisläufe, Förderung der Durchblutung, Rückbildung von Schwellungen, Belebung des vegetativen Nervensystems sowie eine ausgleichende Wirkung im psychischen Bereich.

Claudia Focks beschäftigte sich bereits während ihres Medizin-Studiums mit dieser besonderen Facette chinesischer Heilkunst: „Akupunktur fasziniert mich schon sehr lange. Im Gegensatz beispielsweise zu einem gespritzten Medikament regt sie durch bestimmte Impulse Energieflüsse im Körper an. Will heißen, der Körper reguliert sich selbst. Der Patient vertraut ihm wieder und sieht ihn nicht als Gegenüber an.“ In Asien sei Akupunktur eingebettet in ein komplexes System, welches Lebenspflege, Körperübungen, Tuina-Masssage, Ernährung und chinesische Kräutertherapie miteinbezieht.

Mögliche Erklärungen, warum die dünnen Nadeln an bestimmten Körperpunkten diese Effekte auslösen, gibt es viele, wie die 59-Jährige ausführt: „Durch den stimulierenden Reiz der Nadeln werden im Gehirn vermehrt schmerzlindernde und stimmungsaufhellende Substanzen ausgeschüttet, auch ‚Endorphine‘ oder ‚Glückshormone‘ genannt.“ An der Einstichstelle setzen die Akupunkturnadeln Botenstoffe frei, reizen die Schmerznerven, verbessern die lokale Durchblutung und setzen weitere schmerzlindernde Substanzen (Opioide) frei. Auch könne man mit Akupunkturnadeln Reize an sogenannten „Triggerpunkten“ setzen und so muskuläre Verhärtungen lösen. Durch das Einstechen der Nadel am Akupunktur-Punkt werden zudem sogenannte „Reflexbögen“ im Rückenmark aktiviert, welche Schmerzen hemmen, die Muskulatur lockern und Organe wie beispielsweise den Magen entspannen.

 

Stimulierende Reize schütten Glückshormone aus

Darüber hinaus aktiviert der Nadel-Einstich ein System, welches sich „diffuse Schmerzhemmungskontrolle“ nennt: „Durch einen Schmerzreiz an einer Stelle, nimmt die Schmerzempfindlichkeit an einer anderen Stelle des Körpers ab.“ Die Haut ist über ein immenses Netz von Nervenfasern mit dem Gehirn und den Organen verbunden. Durch den Reiz der Akupunkturnadel lassen sich so auch innere Organe und Körperregionen beeinflussen.

Claudia Focks, die sich auch an chinesischen Universitäten ausbilden ließ, sieht in der fernöstlichen Medizin eine große Chance: „Sie kann eine sehr wichtige Ergänzung zu unserer europäischen Schulmedizin bilden. Die chinesische Medizin hält Lösungen etwa für Befindlichkeitsstörungen bereit, welche wir mit den klassischen Ansätzen oft nicht einordnen können und dann beispielsweise als rein ‚psychisch‘ einstufen. Natürlich ist es umgekehrt sehr wichtig, eine gute fundierte westliche Diagnostik zu haben, um Beschwerden nicht zu verschleiern.“

 

Schmerzfreier Einstich durch feine Nadeln

Wer kann sich als Akupunkteur betätigen? „In Deutschland ausschließlich Ärzte, Heilpraktiker oder Hebammen mit Sondergenehmigung und entsprechender Ausbildung“, so Focks. Da die Nadeln sehr fein sind und auch keine Öffnung haben, erfolgt der Hautdurchstich in der Regel schmerzfrei: „Nach dem Einstich stellen sich unterschiedliche Empfindungen ein, die ganz normal sind und den korrekten Sitz der Nadeln anzeigen. Typisch sind ein dumpfer Druck, ein leichtes Taubheits- oder Schweregefühl sowie Wärme oder Kälte am Einstichpunkt.“ Dies alles fasse man unter dem Begriff „De-Qi-Gefühl“ zusammen. Gelegentlich fühlen Patienten eine Art dumpfes Kribbeln, das sich entlang der Leitbahnen, die den Körper durchziehen, ausbreitet und „Leitbahnphänomen“ genannt wird.

Zwischen sechs und zwölf Sitzungen umfasst eine durchschnittliche Akupunkturbehandlung. Claudia Focks kann nur allen Menschen raten, es bei bestimmten Beschwerden auch mit Akupunktur zu versuchen: „Akupunktur kann begleitend eingesetzt werden, etwa bei chronischen Kopf- und Rückenschmerzen, Gelenkschmerzen, Heuschnupfen, Tennisellenbogen, Menstruationsbeschwerden, allergischem Asthma, chronischen Wirbelsäulenleiden, Geburtsunterstützung oder Schlafstörungen.“

Dr. med. Claudia Focks

Claudia Focks kam erstmals während ihres Medizin-Studiums an der Universität Hamburg durch eine semesterbegleitende Vorlesung mit Akupunktur in Berührung. Bereits als Studentin belegte sie Kurse bei der Deutschen Ärzte-Gesellschaft für Akupunktur und einem vietnamesischen Arzt. Während ihrer ersten Anstellung als Anästhesistin war sie neben der ärztlichen Besetzung des Rettungshubschraubers auch in der Schmerztherapie tätig und konnte dort ihre Akupunktur-Kenntnisse nutzen. Nach der Facharztausbildung führte ihr Weg an die Universität Shanghai. Im Anschluss leitete sie mehrere Jahre eine Praxis für Chinesische Medizin in Essen. Sie lebt seit 2004 in Rottweil und begleitet die chinesische Medizin auch als Buchautorin und Dozentin mit Standardwerken wie beispielsweise „Atlas Akupunktur“, „Leitfaden Chinesische Medizin“ oder „Leitfaden Akupunktur“, erschienen im Elsevier-Verlag. Ergänzend ist sie seit einigen Jahren psychotherapeutisch tätig.