13.03.2023

"Bei meiner Ausbildung geht es immer um die Wurst!"

Azubi Tobias Dieterle, Metzgerei Haas, Rottweil

→ AUSBILDUNGSPLATZ FREI - METZGER/-IN

Im Jahr 2043 – Zukunft

Gehst du mit einkaufen?“ fragt Mama Heidi ihren Sohn Rupert. Der schüttelt den Kopf: „Ist mir zu langweilig Mama…“ Die greift zum Einkaufskorb, verlässt das Haus und steigt in ihr Fahrzeug, das von einer künstlichen Intelligenz gesteuert wird. „Ich versteh den Jungen“, denkt sie, während sie auf dem Display „Einkaufen“ drückt. Das mit Wasserstoff betriebene Fahrzeug setzt sich lautlos in Bewegung, während Mama Heidi auf ihrem Tablet den Roman weiterliest. Bald schon tauchen die riesigen Einkaufs-Hallen auf, die ihr kleines Fahrzeug wie gefräßige Monster schlucken. Wie viele andere Fahrzeuge vor und hinter ihr wird auch ihr Fahrzeug auf ein unsichtbares Schienensystem geleitet, das sie langsam an großen Regalen vorbeigleiten lässt. Mama Heidi sagt „Fenster auf!“ und beginnt sich im Vorbeigleiten aus den Regalen Waren zu greifen und verstaut diese in Metallwannen auf dem Rücksitz.

„Brot“ steht in großen Lettern am nächsten Regal. Heidi seufzt und angelt sich ein helles Brot ins Fahrzeuginnere. Aus Effizienzgründen gibt es nur drei Sorten: hell, dunkel und Toast. Im ganzen Land, in ganz Europa, vielleicht auf der ganzen Welt? Ähnlich verhält es sich beim „Wurst“-Regal. Drei Sorten stehen zur Auswahl: würzig, mild und scharf. Heidi weiß ganz genau, dass diese Woche „scharf“ an der Reihe ist. Nach sieben Tagen „mild“ freut sie sich auf die Abwechslung. Menschen befinden sich keine in den Einkaufshallen. Roboter füllen die Regale nach.

Vor den PC-Kassenautomaten für die im Handgelenk eingenähte Währungschipkarte bildet sich ein Fahrzeugstau. Heidi lehnt sich nach hinten und schließt die Augen. Sie erinnert sich an ihre frühe Kindheit, als ihre Eltern noch zu Fuß zum Einkaufen sind. Es gab noch kleine Bäckereien und Metzgereien, die tatsächlich die zum Verkauf stehenden Produkte selbst herstellten. Heidi lächelt wehmütig und denkt an die riesige Auswahl an Brot- und Wurstsorten. Alles vorbei… die Berufe „Bäcker“ und „Metzger“ sind längst ausgestorben. Schon als sie klein war, hatte sich kaum ein junger Mensch gefunden, der eine Ausbildung in diesen Berufen beginnen wollte. Heute stellen ausschließlich Roboter und Maschinen Brot, Wurst und Fleisch her: „Das schmeckt man auch“, murmelt Mama Heidi und hält ihr Handgelenk an das Automaten-Display.

Im Jahr 2023 – Gegenwart

Tobias Dieterles Entscheidung eine Ausbildung zum Metzger zu absolvieren, ist gut abgehangen und lange gereift. So ähnlich wie eine Salami. Nach dem Realschulabschluss im Jahr 2007 war ihm eine Metzgerlehre noch ziemlich Wurst. Der Rötenberger ließ sich drei Jahre lang zum Schreiner ausbilden, leistete anschließend Wehrdienst und besuchte dann sogar die Meisterschule. Als Schreinermeister arbeitete er in mehreren Betrieben. „Irgendwann habe ich mich dann gefragt, ob es das jetzt war beruflich. Auf ein Studium hatte ich keine Lust und die Familiengründung stand auch noch nicht unmittelbar bevor“, erinnert sich Tobias. Und er erinnerte sich damals immer öfter an die Hausmetzgerei, die ein Freund seines Vaters betrieben hatte: „Das faszinierte mich schon als Kind und Jugendlicher: selbst schlachten zu können und dann eigene Produkte herzustellen.“

Tobias liebt Fleisch und Wurst. Und irgendwann war dann die Idee geboren, eine Ausbildung zum Metzger zu beginnen: „Ich hatte ein wenig gespart, so dass die Lohneinbußen zu verkraften sind, außerdem muss ich als Handwerksmeister nur zwei der drei Lehrjahre durchlaufen.“ Wenn nicht jetzt, wann dann, sagte sich der 34-Jährige und fand bei der Metzgerei Haas in Rottweil umgehend einen Lehrbetrieb. Metzgermeister Gerd Haas spricht für die ganze Branche, wenn er sagt: „Kaum eine regionale Metzgerei findet heutzutage noch Auszubildende, genauso wenig wie Verkaufspersonal. Wir können derzeit nur vormittags öffnen, da wir zu wenige Fleischereifachverkäuferinnen haben. Auch in diesem Bereich würden wir gerne ausbilden oder einstellen, finden aber keine Bewerber.“

Seine Entscheidung hat Tobias noch keinen Tag bereut: „Es ist brutal interessant, was man aus Fleisch alles machen kann.“ Gefragt sind in der Ausbildung sowohl Muskelkraft als auch ein feines Händchen. Während die Metzger in der ersten Wochenhälfte etwas kräftiger zupacken müssen, wenn das Fleisch kommt, geht es dann zum Ende der Woche hin eher um dessen Zubereitung.

Montags werden die am Freitag beim örtlichen Landwirt vorbestellten Schweine vom Schlachthof in Villingen angeliefert und zerlegt. Dienstag geht es an die Wurstherstellung („wursten“): Brüh-, Koch- und Rohwurst. Dann kommen auch die Rinderhälften ins Haus, die von den Metzgern selbst geschlachtet wurden. Mittwochs wird Schinken hergestellt und die Fleischstücke für den Laden zugeschnitten. Donnerstags steht wieder Wursten auf dem Programm. Der Freitag ist im Sommer für die Vorbereitung des Grillguts reserviert, außerdem wird Fleisch verpackt und für den Reifeprozess vorbereitet. Schließlich bereiten die Metzger an diesem Tag auch küchenfertige Produkte wie Pfannen, Schaschlik oder Cordon-bleu zu.

Neben der Praxis im Betrieb lernen die Metzger-Azubis in der Berufsschule alles über die Physiognomie von Schweinen und Rindern. Sie müssen zerlegen, Wurst herstellen, Garpunkte kennen und das perfekte Steak auf den Teller zaubern. Wie sehr sich die Zahl an Metzger-Azubis verringert, zeigt sich an der Schülerzahl: „Wir sind neun Metzger im dritten Lehrjahr. Rutscht die Zahl unter acht, wird dieser Zweig in Villingen-Schwenningen geschlossen und angehende Metzger müssen nach Lörrach fahren.“ Die meisten Metzgerlehrlinge stammen übrigens aus Metzgereien oder einem Bauernhof.

Der 34-Jährige kann nicht nachvollziehen, warum der Beruf des Metzgers akut vom Aussterben bedroht ist: „Wurst und Fleisch wird zumindest in meinem Umfeld immer noch sehr gerne gegessen. Und besonders gerne eben von einem regionalen Metzger des Vertrauens und weniger oder kaum vom Discounter oder Supermarkt.“ Er werde oft gefragt, wie Wurst eigentlich hergestellt wird: „Die Leute interessieren sich immer mehr, woher ihre Lebensmittel stammen und wie sie hergestellt werden.“ Sein Chef Gerd Haas kann dies bestätigen: „Wir haben genügend Kundschaft. Stammkunden, aber auch junge Familien, die bewusst bei uns und nicht im Discounter Wurst und Fleisch kaufen.“ Nur ohne Personal an der Theke und in der Wurstküche können die kleinen Metzgereien nicht mehr lange überleben. Zwischen 25 bis 30 Wurstsorten produziert das Team um Gerd Haas in der kleinen Metzgerei in Rottweil. Dauerbrenner auf der Beliebtheitsskala sind Lyoner, Fleischkäse, Salami, Wienerle und Wurstsalat.

Angesprochen aufs Tierwohl betonen beide, dass sich in den vergangenen Jahren sehr viel zum Positiven verändert habe: „Sowohl in den landwirtschaftlichen Betrieben als auch in den Schlachthöfen gelten mittlerweile deutlich strengere Vorschriften.“ Auch Hausschlachtungen, früher auf dem Land weit verbreitet, nähmen zu. Ein weiterer Beleg dafür, „dass die Leute einfach wissen möchten, was sie essen und die Qualität stimmen muss“ Natürlich denkt Tobias in solchen Momenten an die Hausschlachtungen, bei denen er als Kind dabei war. Nicht mehr lange und er kann selbst zuhause schlachten…

KONTAKT

Metzgerei Haas
Gerd Haas | Hochmaiengasse 12 | 78628 Rottweil
Tel. 0741 7123 | metzgerei-haas@web.de