14.07.2021

Mittelalter: 1467

Gestatten: Urs Haug,

Schuhmacher im mittelalterlichen Rottweil. Wir schreiben das Jahr 1467. Ich soll Euch sagen, wo wir hier in unserer ehrwürdigen Reichsstadt scheißen und pissen. Und was dann damit passiert. Also generell ist es so, dass die meisten meiner Mitbürger alles, was sie nicht mehr benötigen, egal ob Müll oder das was bei Menschen und Tieren unten rauskommt, auf die Straße kippen oder in irgendeine Grube werfen. Im Städtle gibt es eine ganze Reihe solcher Gruben. Da schwimmt ganz unten auch Wasser, was gut ist, denn sonst würde es noch schlimmer stinken. Die Gruben dürfen nur nachts von den zuständigen Bannwarten geleert werden. Die karren dann das Zeugs mit Fuhrkarren zum Neckar runter.

Auch die zum Neckar führenden Gräben rings um die Stadtmauern wie beispielsweise der Nägelesgraben ist voller Müll und Scheiße. Mancher meiner Nachbarn hat seine eigene kleine Grube an den Ringmauern gegraben, um den Gestank und Schmutz von der Wohnung fernzuhalten. Zum Schutz vor Regen und Kälte haben viele aus Holz kleine Scheißhäuser über den Gruben errichtet.

Ich dagegen habe mir längst einen Erker im ersten Obergeschoss für diesen Zweck anbauen lassen. Wir müssen nicht mehr ins Freie rennen. Von dort oben plumpst alles nach unten in eine Grube, die ich leider regelmäßig leeren muss. Da die nächste öffentliche Grube aber nicht weit ist, hält sich der Aufwand in Grenzen.

Die Pfaffen erklären uns in der Kirche immer, dass die Erde den ganzen Müll „verdaut“. Soll mir recht sein. Aber oft habe ich schon zu meinem Weib gesagt, dass unser Trinkwasser genauso stinkt wie das Wasser in den Gruben. Das kann nicht gesund sein. Ich halte mich deshalb strikt ans Bier.

Diese ganzen Krankheiten wie Pest-, Pocken-, Cholera- oder Typhus müssen doch damit etwas zu tun haben. Ein Teil meiner Nachbarn behauptet jedoch, die giftigen Dämpfe seien schuld, die von den Misthäufen und Gruben aufsteigen. Da bin ich skeptisch, aber selbst wenn: keiner macht was gegen diese Schandflecken. Andere Nachbarn meinen, die Juden seien daran schuld. Von der Pestanno 1348 beispielsweise heißt es bis heute, die Rottweiler Juden hätten die Brunnen vergiftet. Deshalb wären sie von der Pest verschont geblieben. So ein Blödsinn! Ich glaube eher, dass sie wie ich das stinkende Wasser nicht trinken und auch sonst mehr auf Sauberkeit achten. Das sollten meine Nachbarn besser auch tun…

Nachts pisst oder scheißt jeder von denen in irgendeinen Topf und leert ihn morgens auf die Straße oder in den Hof des Nachbarn – wie beispielsweise der Moritz Hauser, der Hundsfott der verreckte. Die armen Teufel ohne richtiges Bett und Haus steigen sogar auf die Misthäufen.

Seit neuestem gibt es in der Stadt noch einige „Dolen“, das sind so dünne Rinnen für Abwasser und Unrat. Wenn es regnet, wird alles direkt durch Löcher in der Stadtmauer in den Neckar geleitet. Wenn es aber nicht regnet, stinken die Dolen so lange zum Himmel, bis irgendein Bettelvogt oder ein Brunnenmeister sich erbarmt und sie putzt. Ach ja, zum Schluss vielleicht noch der Hinweis, wie man sich nach dem großen Geschäft hinten reinigt: wir benutzen dafür Leinwandfetzen, Stroh oder Laub.