15.07.2021

Linns kalte Füsse

Schreibwettbewerb für HIERBLEIBER-Leser – die Gewinner-Texte

Linn friert. Sie hat kalte Füße und Hunger. Eigentlich wollte die Norwegerin jetzt in der Karibik die Sonne genießen. Mit wenig Geld um die Welt zu reisen war der Plan. Couch-Surfing hieß das Zauberwort. Online werden ausschließlich private Wohnungen oder Wohnräume vermittelt, in denen Couchsurfer kostenlos übernachten können. Dann kam Corona. Und Linn ist schon wieder auf dem Heimweg. Heute Abend ist sie in Rottweil gestrandet. Eine Kleinstadt zwischen Stuttgart und Bodensee. Als geübte Couchsurferin hat sie eine Bleibe für die Nacht gefunden. Die Wohnungsbesitzerin ist trotz Pandemie die ganze Woche geschäftlich verreist und hat ihr den Schlüssel unter der Fußmatte deponiert. Eine wahre Menschenfreundin. Draußen schneit es. Der Winter bäumt sich noch einmal auf. Doch die Wohnung ist eiskalt. Der Kühlschrank ist leer. Linn spricht nur Englisch. Ihr letztes Geld benötigt sie für die Zugfahrkarte. Was nun? Linn überlegt.


 

1. Platz

„Erstmal Geld holen und rasch noch was Leckeres einkaufen“, Linn geht in Gedanken den Abend durch. Winterschuhe an, Türe zuziehen und los geht’s. Eine kleine geschlossene Schneedecke ist schon auf dem Bürgersteig und knistert unter den Stiefelsohlen. Die nächste Bank ist um die Ecke. Rasch die Karte eingesteckt und mit den Gedanken schon beim Einkaufen. Oh vertippt, gleich nochmal. „Hmmm, das muss doch die PIN sein. Jetzt aber.“ Und zack zieht der Automat die Geldkarte ein. „Na toll. Dann faste ich eben heute Abend“, denkt sich Linn trotzig. Tut ja auch gut nach dem vielen reichhaltgen Essen die letzten Wochen in Deutschland. Doch wo ist denn der Wohnungsschlüssel? Oh Schreck, den hat Linn in der Hektik wohl innen an der Türe stecken lassen. Det gå i et kjør – wie man in Norwegen zu sagen pflegt, das war jetzt etwas viel Unglück auf einmal. Aber nun gut, im hohen Norden sind die Menschen einiges gewohnt und lassen sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen. Wobei das gar nicht so einfach ist bei diesem Schlamassel und dem immer stärker werdenden Schneetreiben. An der Wohnung klingelt Linn aus Verzweiflung bei allen Namensschildern. Prompt öffnet ihr eine nette ältere Dame die Haustüre, sieht die verfrorene Linn und zeigt auf eine dampfende Tasse Tee. Dazu gibt es frisch gebackenen Apfelkuchen. Nicht so schlecht, zudem hat die liebe Nachbarin auch einen Zweitschlüssel zur Wohnung. Na also, es  geht doch – Rottweil ist eben liebenswert auf den zweiten Blick.

Adrian Benz, Rottweil

 

2. Platz

Bei der Story handelt es sich um Fake News der CPP (Corona Panik Presse), die ganz schlecht recherchiert sind. Linn ist nämlich Top-Model und lebt quietschvergnügt in Rottweil. Schon lange liegt ihre Fotosession für die ENRW zurück, denn sie ist auf den Service-Fahrzeugen schon seit Monaten, um nicht zu sagen seit Jahren zu sehen. Als junge moderne Frau hat sie eine Kreditkarte. Mit der kauft sie bei Neukauf Maier Culinara Rottweil ihren täglichen Bedarf ein. Falls sie Hunger hat, ruft sie bei „Schneider bringt‘s“ kurz an. Schon bekommt sie leckere Speisen geliefert, wobei Linn sich oft für die vegetarische Variante entscheidet. Ja, von was träumt Linn in diesen kalten Mai-Tagen, wo die ENRW die Fernwärme abschaltet und sich Linn doch wieder den Pullover und die Ringelsocken anziehen muss? Sie träumt natürlich vom Ferienzauber am Wasserturm und im Kraftwerk, wo sie mit ihren Mädels mal wieder richtig den Bär steppen lassen würde. Apropos Wasserturm, Linn würde gerne mal sehen, was die Crew von mawa-solutions dort so treibt. Früher war sie schon mal im Wasserturm, als Mädchen beim Eierflugwettbewerb mit ihrem Model „Blauer Vogel“. Leider blieb der in den Zweigen der umstehenden Bäume hängen. Sie war damals ganz schön enttäuscht. Doch der „ blaue Vogel“ scheint ihr noch immer Glück zubringen, ist doch eine neue Fotosession bei Ralf Graner Photodesign zusammen mit dem Duo „Acoustic Blue Mama“ und Tamara Retzlaff mit dem Titel „Bunter Sommervogel“ geplant. Dabei soll Rottweils City auch ganz toll als Location rauskommen. Toi, toi Linn, diesmal aber lächeln und kein Flutschmund!

Rüdiger Härtel, Rottweil

 

3. Platz

Die Wohnung liegt in einem Mehrfamilienhaus und immer wieder hört Linn Geräusche des Aufzuges und menschliche Stimmen. Plötzlich ist ein lautes Bellen des Hundes und Kinderstimmen zu hören. Daraufhin öffnet Linn spaltbreit die Tür und sieht einen älteren Jungen und zwei Mädchen mit einem Dackel. Die Kinder schauen neugierig zurück. Spontan holt Linn ihr Smartphone raus, auf dem es eine vorinstallierte Übersetzungs-App gibt und fragt mithilfe dieser, ob es ein Problem mit der Heizung im Haus gibt, da ihre „Couchsurfing“ Wohnung kalt ist und sie friert. Die Kinder schauen sie an, murmeln etwas und laufen ohne eine Antwort hoch. Keine 15 Minuten später klingelt es an der Tür und Linn sieht draußen einen Mann und eine Frau sowie die bereits getroffenen Kinder stehen. Auch sie haben ein Handy mit der Übersetzungs-App dabei und fragen Linn, ob sie die Heizung in der Wohnung anschauen können, weil der Mann der Hausmeister hier im Haus ist. Das Problem mit der Heizung wird behoben. Linn verspürt eine wohlige Wärme aufsteigen und bedankt sich. Das Problem mit der kalten Wohnung ist gelöst, Hunger verspürt Linn aber weiterhin. Wieder klingelt es an der Tür und die Kinder von vorhin stehen mit einem Korb da, denn ihre Mutter hat eine Kleinigkeit für Linn vorbereitet. Die Linsen mit Spätzle schmecken hervorragend. Zwei Wochen später, bereits zurück in Norwegen sitzt Linn an ihrem Küchentisch und schreibt eine Postkarte Richtung einer Kleinstadt zwischen Stuttgart und Bodensee.

Elisa Dukhovnay, Rottweil