Pinsel-Insel feiert Geburtstag
20 Jahre Jugendkunstschule Kreisel im Landkreis Rottweil
Kennen Sie den Krimi „Der dritte Mann“ aus dem Jahr 1949? Vielleicht die Älteren unter Ihnen. Doch was hat ein uralter Kinofilm, der im Wien der Nachkriegszeit spielt, mit der HIERBLEIBER-Region zu tun? Nichts natürlich. Oder nur ein kleines bisschen. „Der dritte Mann“ schlägt eine Brücke zum „Dritten Ort“. Ein solcher bezeichnet einen Ort der Gemeinschaft, der für Kinder und Jugendliche einen Raum der Entfaltung zwischen Elternhaus und Schule bieten soll. Solche Orte gibt es auch zwischen Schwäbischer Alb und Schwarzwald. Und einer davon ist seit 20 Jahren die Jugendkunstschule Kreisel.
„Wir bieten ästhetische und künstlerische Bildung für Kinder und Jugendliche“, erklärt Schulleiterin Verena Boos. Und dies im Gegensatz zum Kunstunterricht an den Schulen „mit viel Freiraum und ohne Notendruck“. Leistungsdruck und Bewertungsmaßstäbe spielen in den Kursen der Jugendkunstschule keine Rolle: „Es geht um die persönliche Entfaltung der Kinder und Jugendlichen. Wir sind eine ‚Pinsel-Insel‘, eine Villa Kunterbunt, ein offener und zugleich geschützter Raum der Vielfalt, des Wachstums und des kreativen Spiels.“ Zeichnen, Malen, Plastisches Werken, Holzwerkstatt, Modedesign/Nähen, Ästhetische Früherziehung und ein Keramikatelier bestücken das Angebot für Kinder und Jugendliche, welches sich über die Orte Oberndorf, Rottweil, Schramberg, Dunningen und Sulz erstreckt.
Zahlen gefällig? Rund 370 Kinder besuchen die Kurse des KREISEL, regelmäßig jede Woche oder in Ferienprogrammen und anderen Projekten. Rund 800 Kurstermine füllen ein Kalenderjahr. Potential für mehr ist gegeben, wobei die Gruppengrößen nicht mehr als zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer umfassen soll: „Wir arbeiten in Kleingruppen. Das ist ein konzentriertes und stressfreies Arbeiten, bei dem wir individuell auf jedes Kind eingehen können.“ Seit Jahren gut gebucht sind nahezu sämtliche Kurse für Kinder von drei bis zwölf.
Ab diesem Alter wird es schwieriger, da oft das Lernpensum an den Schulen zunimmt. Generell beobachtet Verena Boos, dass derzeit Kurse, in denen die analoge, haptische Kreativität im Vordergrund steht – im Gegensatz zu beispielsweise Theater oder Fotografie – sehr beliebt sind: „In Zeiten von Krieg, Corona, Digitalisierung und Klimawandel wird die freie Entfaltung in einem geborgenen Umfeld besonders wichtig.“
Lohnt sich ein Kursbesuch überhaupt? Oder könnten Eltern ihre Sprösslinge nicht auch zuhause zum Malen und Werken animieren? „Bei uns schaffen die Kinder ja nicht unangeleitet vor sich hin! Unsere Dozentinnen und Dozenten sind ausgebildete bildende Künstler und Pädagogen oder kommen aus anderen handwerklich-technischen Fächern. Sie sind wichtige Bezugspersonen, die altersgerecht unterschiedliche Techniken vermitteln.“ Zudem lasse sich das Erlebnis in der Gruppe nicht mit dem Malen zuhause vergleichen. Ein großer Unterschied besteht schließlich auch in Sachen Materialfundus: „Wir verfügen natürlich an allen Standorten über wahre Schatzkammern. Das können die Elternhäuser in aller Regel nicht vorhalten.“
Das Argument, durch eine Monatsgebühr von 28 Euro lediglich ein Angebot für die gesellschaftliche Mittel- und Oberschichten zu schaffen, lässt Boos nicht gelten: „Wir gewähren mit dem Familienpass 50 Prozent Rabatt, davon profitieren allein am Standort Oberndorf rund zwanzig Kinder. Geflüchteten Kindern können wir in der Regel die komplette Gebühr erlassen.“ Neben den Jahreskursen beteiligt sich die Jugendkunstschule KREISEL an Ferienprogrammen und unterhält Schulkooperationen.
Über den derzeitigen Dozentenstamm hinaus sucht Verena Boos nach weiteren Lehrkräften: „Wir freuen uns über die Bewerbungen von Menschen, die über ein Kunst(pädagogik)-studium oder eine vergleichbare Ausbildung oder entsprechende Berufserfahrung verfügen. Kurse dauern in der Regel 90 Minuten und werden auf freiberuflicher Basis honoriert.“ Die Kunstschulmanagerin möchte gerade in diesen Zeiten das Angebot für Kinder und Jugendliche ausbauen und noch stärker an den Schulen präsent sein. Keine Frage: „Dritte Orte“ sind gefragt wie noch nie.
Die Jungendkunstschule Kreisel mit Sitz in Oberndorf wurde 2002 vom Lions Club Rottweil ins Leben gerufen. Damals gab es in Baden-Württemberg nur wenige Jugendkunstschulen. Heute existieren 42 solcher Einrichtungen, organisiert im Landesverband der Kunstschulen Baden-Württemberg. Seit 2005 fungiert die Stadt Oberndorf als Trägerin. Die Jugendkunstschule wird als interkommunale Bildungseinrichtung zusammen mit den Kommunen Rottweil, Schramberg, Dunningen und Sulz geführt. Der Landkreis Rottweil trägt zum Unterhalt bei. Darüber hinaus werden Kunstschulen nach dem baden-württembergischen Jugendbildungsgesetz gefördert.
Im Kurs „Modedesign und Kreatives Nähen“, der im Kapuziner in Rottweil stattfindet, können Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren unter Anleitung von Isabella Broghammer zu Schere, Stoff und Nähmaschine greifen. Schulleiterin Verena Boos (blauer Pullover) freut sich über motivierte Kursteilnehmerinnen.