01.10.2019

„Fromme Sprüche sind hier fehl am Platz“

Schwester Berngund und ihr selbstloses Leben in der Helios-Klinik Rottweil

Es herrscht ein diffuses Licht in der Sakristei der Krankenhauskapelle. Herabgelassene Jalousien lassen nur wenig Sonnenlicht in den großen Raum. Es ist ganz still. Die Geräusche des Krankenhaus-Foyers mit Caféteria dringen nicht in diesen Teil des Gebäudes. Mir gegenüber sitzt Schwester Berngund und beantwortet geduldig meine Fragen. Nächstes Jahr feiert sie 80. Geburtstag. Ihr wacher Verstand und ihre Fähigkeit, sich an viele Details ihres Lebens zu erinnern, erstaunen. Ihr Lebensziel, für viele Menschen da zu sein und zu helfen, beeindruckt.

Tagesablauf
Personalwohnheim Helios-Klinik Rottweil. Schwester Berngunds Tag startet um 5.45 Uhr mit einer kurzen Gebetszeit, dann gibt es ein gemeinsames Frühstück mit ihren drei Mitschwestern. Anschließend besucht sie die Krankenhauskapelle für eine Morgenandacht: „Ich bitte den lieben Gott, mich in den kommenden Stunden dorthin zu schicken, wo ich gebraucht werde, und es ist erstaunlich, wie gut das dann meistens klappt.“ Gegen 9 Uhr beginnt die Schwester ihre Rundgänge durchs Krankenhaus. Wer reden möchte, dem hört sie zu: „Ich erkundige mich, wie es heute geht. Fromme Sprüche sind fehl am Platz.“ Als Mitglied im sogenannten Palliativ-Team betreut Schwester Berngund auch Menschen, die bald sterben werden.

Zur Mittagszeit holt sie aus der Krankenhausküche ihr Mittagessen, welches sie zusammen mit den Mitschwestern in der Wohnung verzehrt. Nachmittags erledigt sie den Haushalt und betet für die kranken Menschen: „Dafür sind wir ja schließlich da.“ In der Kapelle, die sie für den täglichen Gottesdienst vorbereitet, „lädt sie ab“, wie es die 79-Jährige nennt: „Natürlich berühren mich die einzelnen Schicksale auch nach Jahren noch, das ist doch klar.“ Mit den Mitschwestern könne nicht jedes Erlebnis besprochen werden, „also erzähle ich Gott von meinen Begegnungen.“ Von den Patienten sind nur wenige in der Lage, die Gottesdienste zu besuchen, es überwiegen Gläubige von außerhalb. Nach dem Abendessen zieht sich Schwester Berngund meist zurück: „Im Krankenhaus wissen sie aber, dass man mich immer anrufen kann, auch nachts.“ Sonntags besuchen die Schwestern den Gottesdienst im Rottweiler Münster, am Nachmittag widmet sie sich speziell den Schwerkranken in der Klinik.

Für Andere da zu sein
„Es ist schön, dass man gebraucht wird“, stellt Schwester Berngund zufrieden fest, „ich könnte jetzt noch nicht im Seniorenhaus der Schönstatt-Schwestern sitzen. Aber die Möglichkeit besteht: wenn unsere Kräfte schwinden, können wir heimgehen, auf die Liebfrauenhöhe, zwischen Rottenburg und Horb.“ Sie hat großes Mitgefühl mit älteren Patienten, die keinen oder kaum Besuch bekommen, da die Kinder beruflich oder privat stark eingespannt sind: „Die Leute haben meist in jüngeren Jahren alles für ihre Kinder getan und werden dann im Alter ignoriert. In anderen Kulturkreisen wird uns vorgelebt, dass man die Alten nicht einfach ihrem Schicksal überlässt, bei den Türken oder Italienern etwa, oder bei den Russlanddeutschen, bei denen sich traditionell das jüngste Kind der Eltern annimmt.“

Trost spenden
Die Frage, warum der liebe Gott so viel Leid und Schmerzen zulässt, bekommt die Schwester oft gestellt: „Viele kranke Menschen hadern und fragen sich, was sie verbrochen haben.“ Schwester Berngund versteht die Zweifel und versucht, den Patienten zu vermitteln, dass so eine einschneidende Lebenssituation auch als Chance begriffen werden kann, sich und sein Leben zu hinterfragen. Sie erzählt von jungen Männern, denen das Auto oder der Sport wichtiger geworden war als die Familie. Sie erzählt von einer jungen Mutter, die – geheilt von einer schweren Erkrankung – nun völlig anders durchs Leben geht. Schwester Berngund empfiehlt, jeden Tag bewusst zu leben: „Schauen Sie nur auf den heutigen Tag und überlegen Sie am Abend, was gut war und sagen Sie dafür danke. Wenn man dankbar ist, fällt alles ein wenig leichter.“ Sie erzählt von dem Mann, der nach 150 Tagen auf der Intensivstation wieder ein paar Schritte mit dem Rollator gehen konnte und vor Freude fast platzte. Und von der schwerkranken Frau, die, als sie erfährt, dass sie im Januar Uroma von Zwillingen wird, strahlend im Bett liegt: „Für mich ist Gott definitiv ein barmherziger und kein strafender Gott!“

Wohnung und Besitz
„Ich bin zwar besitzlos, aber deshalb nicht arm“, sagt Schwester Berngund. Neben ihrer Schwestern-Tracht und einer Armbanduhr verfügt die 79-Jährige über so gut wie keine persönlichen Gegenstände: „Das macht mich frei für meine Aufgabe.“ In ihren Wohnheim-Zimmern leben die Schwester bescheiden: Bett, Nachtschränkchen, Tisch, Stuhl, Schrank. „Wenn es etwas Besonderes gibt, freue ich mich deshalb auch wie ein kleines Kind.“ Ein kleiner Blumenstrauß oder eine Pralinenschachtel macht sie überglücklich.

Ferien
Auch eine Schwester fährt in die Sommerferien. Schwester Berngunds Augen leuchten, als sie von ihrem Urlaub spricht: „Im Sommer geht es für drei Wochen nach Schönstatt, einem Stadtteil von Vallendar am Rhein, wo sich das Zentrum unserer Bewegung befindet. In einem kleinen Gästehaus, einem Schlösschen mit antiken Möbeln, mache ich Ferien vom Ich.“ Die Zeit verbringt sie mit lesen, beten und spazieren gehen: „Mein Lieblingsplatz ist die Insel Niederwehr. Von dort schaue ich dem Rhein zu und auf die alten Häuser und Kirchen, die voller Kunstschätze sind.“

Ausbildung und Studium
Schwester Berngund erblickt 1940 in Eislingen als Halbwaise das Licht der Welt, ihr Vater war im Krieg gefallen. Zusammen mit ihrer Mutter und einer Tante wächst sie in sehr bescheidenen Verhältnissen auf. Als Mitglied der Schönstatt-Jugend kommt sie früh mit der katholischen Erneuerungsbewegung in Berührung, welche 1914 von Pater Josef Kentenich gegründet worden war. Nach dem Schulabschluss absolviert sie eine dreijährige Lehre zur Hauswirtschafterin in einer Familie mit vier Kindern: „Die Mutter war schwerkrank und das Geld knapp. Wenn ich mal sonntags Gulasch gekocht habe, gab es vielleicht vier Fleischstückchen für den Vater und reichlich Soße für den Rest.“ Die einjährige Berufsschule besucht sie bei den Schönstatter Marienschwestern auf der Liebfrauenhöhe. Anschließend lässt sie sich an einer Fachschule in Würzburg bis 1963 zur Lehrerin für Hauswirtschaft und Handarbeit ausbilden. Danach studiert Schwester Berngund noch an der berufspädagogischen Hochschule in Stuttgart die Fächer „Hauswirtschaft“, „Ernährungswissenschaft“ und „Wirtschaftswissenschaften“ für das Lehramt an beruflichen Schulen. Das Referendariat führt sie 1967/68 erstmals nach Rottweil an die damaligen Hauswirtschaftlichen Schulen in der Marxstraße.

Vertrag, neuer Name und Zöllibat
1963, mit 23 Jahren, beschließt die junge Frau, in ihrem Leben ausschließlich für die Mitmenschen und den lieben Gott da zu sein. Sie schließt sich den Schönstatter Marienschwestern an, verbringt ein halbes Jahr in deren Mutterhaus in Vallendar und schließt einen Vertrag mit der Gemeinschaft ab: „Bei uns gibt es keine Gelübde, sondern einen beidseits kündbaren Vertrag.“ Ihren bürgerlichen Namen legt sie ab und wählt bei der Einkleidung den Namen „Berngund“: „Wenn man jung ist, spinnt man ja manchmal, und ich habe mich damals für altdeutsche Namen begeistert, aber bis jetzt habe ich es noch nicht bereut.“ Schwesterntracht, Name und die Verpflichtung auf ein zöllibatäres Lebens dienen dem einen Zweck: „Gänzlich frei für Gott und die Mitmenschen zu sein.“

Berufstätigkeit
Schwester Berngund arbeitet nach dem Referendariat als Lehrerin auf der Liebfrauenhöhe an der Haushaltungsschule sowie der Fachschule für angehende Erzieherinnen. Ab 1989 ist sie als Schulleiterin maßgeblich am Aufbau einer Fachschule für Altenpflege beteiligt. Mit 67 Jahren gibt sie diese Aufgabe in jüngere Hände: „Man bemerkt selbst, wenn es reicht. Ich wollte auch gehen, bevor die Anderen sagen: ‚Wir gönnen ihr den Ruhestand.‘“ Seit 2007 widmet sie sich der Seelsorge am Krankenhaus in Rottweil.

INFO

Die für alle Menschen offenen Gottesdienste in der Krankenhauskapelle finden
montags bis donnerstags um 18 Uhr sowie
freitags und samstags um 15 Uhr statt.

Helios-Klinik Rottweil
Krankenhausstraße 30, 78628 Rottweil