01.10.2019

Begnüge dich der Umwelt willen!

Anna und Tabea gehören zum Orga-Team der Fridays for Future-Ortsgruppe Rottweil

Anna Albrecht und Tabea Eith sind ein Teil von „Fridays for Future“. Sie gehören zum Orga-Team der Ortsgruppe Rottweil. Beide sind 17 Jahre alt. Anna besucht die 11. Klasse des Technischen Gymnasiums an der Erich-Hauser-Gewerbeschule in Rottweil, Tabea die 12. Klasse des Sozialwissenschaftlichen Gymnasiums an der Nell-Breuning-Schule in Rottweil. Im Gespräch mit der HIERBLEIBER-Redaktion geht es natürlich um Greta Thunberg, aber auch um Kurzstreckenflüge, Demos auf der Rottweiler Hochbrücktorstraße und Kleidertauschpartys.

„Klimaschutz“ ganz persönlich
Die Schülerinnen interessieren sich schon seit dem Grundschulalter für Tier- und Umweltschutz: „Das Schicksal der Eisbären, deren Lebensräume wegschmelzen, berührt mich schon seit vielen Jahren“, erzählt Anna. Auch Tabea, zu deren Familie gleich mehrere Haustiere gehören, entwickelt früh ein Bewusstsein für den Umgang mit der Natur. Beide sind sehr gut informiert. Über die Medien verfolgen sie täglich das politische Weltgeschehen. Gemäß dem Motto „Klimaschutz geht alle an“ versuchen sie, im Alltag ihren Beitrag zur Reduzierung der Erderwärmung zu leisten: „In Rottweil und Umgebung bin ich sehr viel mit dem Bus unterwegs, außerdem ernähre ich mich vegetarisch und zwinge mich, sehr bewusst einzukaufen“, so Tabea. Dazu gehöre auch, Kleider nur selten neu zu erwerben und dafür auf den Fundus der ältere Familienmitglieder zurückzugreifen.

Auch Anna ist bestrebt, ihr Einkaufsverhalten umweltbewusst zu gestalten: „Bei Lebensmitteln achte ich auf die Herkunftsnachweise. Obst und Gemüse kaufe ich saisonal und aus der Region. In Sachen ‚Kosmetik‘ lautet meine Devise: ‚Weniger ist Mehr‘. Kleidung hole ich oft im Second-Hand-Laden oder tausche mit Freundinnen.“ Was die Mobilität anbelangt, setzt die 17-Jährige bei Kurzstrecken auf Bus, Füße oder Fahrrad, bei längeren Reisen innerhalb von Europa ausschließlich auf Bus und Bahn: „Mir ist bewusst, dass ich als Schülerin über mehr Zeit als Geschäftsleute verfüge, dennoch bin ich für die Abschaffung von Kurzstreckenflügen aus Gründen des Klimaschutzes.“

Greta Thunberg und die Schüler von heute
Anna und Tabea sind sehr beeindruckt vom Wirken der schwedischen Klima-Aktivistin. Laut Anna gab es aber bereits vor Greta Thunbergs Auftakt-Demo am ersten Schultag des Dürresommers 2018 internationale Proteste für mehr Klimaschutz: „Früher oder später hätten sich diese auch ausgeweitet, dafür ist das Problem zu massiv. Allerdings hat es Greta geschafft, das Thema innerhalb kürzester Zeit nahezu weltweit publik zu machen und natürlich speziell Schüler sowie Studierende zu aktivieren.“ Für Anna und Tabea steht aber fest, „dass es wichtiger ist, aus eigener Überzeugung etwas gegen die Erderwärmung zu tun, als nur einem Vorbild nachzueifern.“ Beide unterstützen die These, nach der sich ihre Generation aufgrund guter Konjunktur und Fachkräftemangel weniger um die berufliche Zukunft sorgt und stattdessen für das Gemeinwohl eintreten kann: „Die heutige Bildungslandschaft präsentiert sich für uns sehr breit und flexibel. Kommunikation und Informationsfluss sind im digitalen Zeitalter einfacher, schlanker und viel schneller. Wir haben gefühlt deutlich mehr Zeit für den Austausch untereinander, aber auch für die Informationsbeschaffung über die Medien.“

Die erste Demo
Die erste Demo am 15. März bringt einige Aufgaben für das neu gebildete Orga-Team mit sich: „Wir recherchierten erst mal, was man bei einer Demo alles beachten muss“, erinnert sich Anna. Zum selbst organisierten Megaphon steuert die Lokale-Agenda-Gruppe eine Tonanlage bei; Weg und Ablauf müssen mit dem Ordnungsamt abgestimmt werden: „Auch für Ordner hatten wir zu sorgen.“ Da es sich um eine weltweite Demo handelt, berichtet die Lokalpresse bereits im Vorfeld ausführlich. Darüber hinaus mobilisiert das Orga-Team auch selbst die Massen, wie Tabea unterstreicht: „Um möglichst viele Schülerinnen und Schüler von den Rottweiler Schulen zu erreichen, nutzten wir die Sozialen Medien.“ Insbesondere über Whatsapp-Posts und Instagram-Storys macht die Ankündigung schnell die Runde.

Obwohl es am 15. März in Strömen regnet, pilgern kurz vor 11.30 Uhr knapp 600 Schülerinnen und Schüler zum Treffpunkt am Stadtgraben. Viele sind mit selbst gemalten Transparenten erschienen, um ihr Anliegen sichtbar zu machen. Von „Schule schwänzen“ kann zwar an diesem Tag keine Rede sein, da die Rektoren der Rottweiler Schulen die Abwesenheit bei dieser ersten globalen Demo genehmigt hatten, dennoch stören sich einige Erwachsene daran. Anna und Tabea können diese Kritik nicht nachvollziehen: „Arbeiter legen für eine Demo die Arbeit nieder und streiken auch nicht in der Freizeit. Natürlich wollen auch wir die öffentliche Aufmerksamkeit, speziell da unser Thema alle Menschen auf diesem Planeten betrifft!“

Verkehr lahm gelegt
Im Orga-Team wird beschlossen, weitere Demos in einem Abstand von ein bis zwei Monaten durchzuführen: „Die Demos sollten sich nicht zur lästigen Pflicht entwickeln und auch im Einvernehmen mit den Schulen durchgeführt werden.“ Nach diversen Demos (Stand Reaktionsschluss dieses Magazins) hat sich die Zahl der Demonstranten zwar reduziert, Anna und Tabea sind aber dennoch zufrieden: „Es kamen bislang immer so rund 100 Leute. Das ist ok, wir freuen uns über jeden, der teilnimmt.“ Geänderte Routen und teilweise Startzeiten nach 16 Uhr sorgen bislang zwei Mal für ein Verkehrschaos in der Innenstadt: „Natürlich haben wir bewusst statt des Flaschenbuckels die Hochbrücktorstraße gewählt. Einerseits werden wir hier mehr gesehen, andererseits möchten wir zum Nachdenken anregen, ob man wirklich immer das Auto nutzen muss.“

Eine Demo in den Sommerferien soll die Botschaft vermitteln, dass nicht nur in der Schulzeit gestreikt wird. Im laufenden Schuljahr möchte das Orga-Team die Demos an Freitagen erst um 12 Uhr beginnen lassen: „Da haben viele eh schon aus, und es betrifft nur eine Schulstunde.“ Ans Aufhören jedenfalls denkt niemand der Organisatoren: „Wir fordern keine Absichtserklärungen, sondern konkrete Maßnahmen. So lange demonstrieren wir weiter.“ Was jedenfalls Stadtspitze und Gemeinderat anbelangt, haben Anna und Tabea das Gefühl, „dass sich hinsichtlich Klimaschutz etwas bewegt“. Auch in Deutschland sei das so.

Kleidertauschpartys und Info-Veranstaltung
Neben den Demos organisiert die Fridays for Future-Ortsgruppe auch Kleidertauschpartys beim Stadtjugendring – mit einer enormen Resonanz: „Beim ersten Mal mussten wir noch zusätzliche Wäscheleinen spannen, um alle mitgebrachten Klamotten präsentieren zu können.“ Anna hat selbst so viele tolle Sachen gefunden, dass ihr Schrank schon wieder voll ist und bereits eine Tüte für die nächste Party bereit steht. Darüber hinaus ist eine Infoveranstaltung zum Thema „Klima“ an den Rottweiler Schulen geplant.

INFO

Fridays for Future heißt übersetzt: „Freitage für die Zukunft“ und bezeichnet eine weltweite Bewegung von Schülern und Studierenden, die sich für den Klimaschutz einsetzen. Als Initiatorin gilt die schwedische Schülerin Greta Thunberg, welche begonnen hatte, freitags während der Unterrichtszeit im öffentlichen Raum für den Klimaschutz zu demonstrieren. Nach ihrem Vorbild fand am Freitag, 15. März 2019, ein erster internationaler Streik von Schülerinnen und Schülern statt, an dem sich weltweit deutlich mehr als eine Million Kinder und Jugendliche beteiligten.

Nach Ansicht der Streikenden ist die Zukunft der Erde durch den von Menschen ausgelösten Klimawandel in einem Maße bedroht, der keinen Aufschub zulässt und entsprechende politische Maßnahmen existentiell notwendig machen. Der Streik während der Schul- oder Vorlesungszeit soll verdeutlichen, dass es wenig Sinn macht, für eine Zukunft zu lernen, die nicht mehr lebenswert sein wird.

In Deutschland formulierten Fridays for Future-Gruppen zusammen mit namhaften Wissenschaftlern folgende Forderungen:

  • Senkung der Treibhausgasemissionen in Deutschland bis 2035 auf netto null
  • Umsetzung des Kohleausstiegs bis 2030
  • eine Energieversorgung ausschließlich auf Basis Erneuerbarer Energien bis 2035

Zudem sollen folgende Ziele bis Ende 2019 umgesetzt werden:

  • Abschaffung der Subventionen für fossile Energien
  • Abschaltung von einem Viertel aller Kohlekraftwerke
  • Einführung einer Kohlenstoffsteuer auf alle Treibhausgasemissionen, welche die durch die Erderwärmung entstehenden Kosten für künftige Generationen kompensiert. Laut Umweltbundesamt wäre dies ein CO2-Preis von rund 180 Euro pro Tonne.

Ferner plädiert die Bewegung international für einen Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs im Rahmen einer Verkehrswende sowie für ein aktives Wahlrecht ab 16 Jahren.

KONTAKT

Fridays for Future
Ortsgruppe Rottweil
www.fridaysforfuture.de/regionalgruppen