01.10.2019

„Ich gehöre noch nicht zum alten Eisen“

Unfreiwillig genügsam: Simone K. ist 60 und lebt derzeit von Hartz IV

„Es liegt am Alter, anders kann ich es mir nicht erklären!“ – Dieser Satz fällt einige Male im Gespräch mit Simone K. (Name von der Redaktion geändert), die vor 13 Jahren nach Rottweil kommt und bei einer großen Firma in leitender Position tätig ist: „Die Arbeit machte mir Spaß, es hatte alles gepasst.“ Ihre Zuverlässigkeit und ihr Fleiß wird allgemein geschätzt, bis eine Erkrankung dafür sorgt, dass Simone K. für eine ganze Weile ausfällt: „Das war der Knackpunkt.“

Obwohl sie zugunsten der Arbeit auf eine Reha verzichtet, findet sie nach ihrer Rückkehr eine andere Person in ihrem Büro vor, die nicht bereit ist, den Stuhl wieder zu räumen: „Meine Vertretung wollte meinen Job und hat gegen mich intrigiert. Ich hatte keinerlei Möglichkeit, dagegen vorzugehen.“ In der Gunst der Geschäftsführung zieht sie den Kürzeren. Es kommt zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses und Simone K. macht sich im Dienstleistungsbereich selbstständig. Doch der Erfolg lässt auf sich warten: „Vielleicht bin ich es zu blauäugig angegangen. Die Konkurrenz ist groß. Viele Aufträge entfielen aufgrund von geänderten Eigentumsverhältnissen oder auch einsetzender Bedürftigkeit meiner Kunden. Darüber hinaus hatte ich auch kein Glück mit den Angestellten. Die haben sich teilweise nur einstellen lassen, um ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nachweisen zu können. Dann wurde anderswo schwarz gearbeitet.“

Nachdem Simone K. merkt, dass sie sich finanziell nicht mehr lange über Wasser halten kann, sucht sie im Herbst 2018 das Jobcenter auf. Ab sofort übernimmt das Amt die Miete für die kleine Wohnung (520 Euro) und die Kosten für die Krankenversicherung. Je nachdem, wie hoch ihre sehr bescheidenden Einkünfte aus der Selbständigkeit sind, erhält sie noch etwas Geld zum Leben. In manchen Monaten sind das nur rund 300 Euro für Kleidung, Lebensmittel, Energie, Versicherungen, Telefon, Internet und was sonst noch so anfällt. „Wenn man derart auf die Ausgaben achten muss, zieht man sich automatisch zurück.“ Theater – oder regelmäßige Schwimmbadbesuche – beides früher eine Leidenschaft der 60-Jährigen – sind zu teuer. Ein Auto kann sich Simone K. ebenso wenig leisten, wie die meisten Versicherungen oder Kosmetikartikel: „Es heißt immer so schön, man soll unter die Leute gehen, aber ganz ohne Mittel ist das ein schwieriges Unterfangen.“ Die Zeit vertreibt sich Simone K. mit lesen, spazieren gehen, Radfahren oder auffrischen ihres Schul-Englischs.

Lange bevor die regelmäßigen Vermittlungsvorschläge des Jobcenters per Mail ankommen, hat Simone K. wieder angefangen, sich zu bewerben, aber die Reaktionen bis heute sind ernüchternd: „Manchmal kommt nicht einmal eine Absage.“ Die 60-Jährige würde fast alles in Kauf nehmen, wenn sie nur wieder arbeiten könnte: „Notfalls wäre ich auch bereit, nochmals umzuziehen.“ Seit geraumer Zeit bewirbt sie sich auch auf Stellen weit außerhalb ihres einstigen Tätigkeitsbereichs: „Ich habe beispielsweise alle Hotels in der Stadt kontaktiert, ob ein Zimmermädchen oder eine Küchenhilfe benötigt wird, aber selbst da kamen nur Absagen oder keine Rückmeldung. Das ist schon sehr belastend. Ich bin fit und möchte arbeiten.“ Vorurteile bezüglich Hartz IV-Empfängern jedenfalls kann sie überhaupt nicht nachvollziehen: „Ich kann doch nichts für meine Situation.“

Ohne Job zurück in die alte Heimat zu gehen, zieht Simone K. nicht in Betracht: „Da käme ich vom Regen in die Traufe.“ Etwas Hoffnung und Zuspruch erhält sie beim Jobcenter, das sie einmal pro Monat aufsuchen muss: „Ich hatte Glück, und habe eine sehr nette Betreuerin, die sich sehr bemüht. Demnächst bin ich beispielsweise zu einem Gruppengespräch eingeladen, da gibt es Tipps rund um die Bewerbung. Irgendetwas kann ich da bestimmt mitnehmen.“ Aufgeben jedenfalls ist für die 60-Jährige keine Option: „Es gibt keinen Plan B! Einen Job zu finden, ist für mich das A und O!“

INFO

Nach Angaben des Jobcenters sind im Landkreis Rottweil trotz guter Beschäftigungslage rund 1.500 Menschen ohne Arbeit. Davon sind rund 400 Personen älter als 50 Jahre. Um diesen Menschen am Arbeitsmarkt eine Chance zu eröffnen, ist im Januar ein neues Teilhabegesetz in Kraft getreten. Ziel ist es, besonders arbeitsmarktfernen Menschen soziale Teilhabe durch eine längerfristige öffentlich geförderte Beschäftigung zu ermöglichen, die idealerweise in normale Arbeitsverhältnisse mündet.

Diese Förderung umfasst

  • einen Lohnkostenzuschuss für die Arbeitgeber in Höhe von bis zu 100 Prozent
  • Übernahme der Kosten für ein Coaching
  • Erstattung von Weiterbildungskosten während der Beschäftigung

Das Coaching führt das Jobcenter im Landkreis Rottweil mit eigenem Personal durch. Der Coach unterstützt beispielsweise bei der Klärung offener Fragen wie die Betreuung minderjähriger oder behinderter Kinder, die häusliche Pflege von Angehörigen, den Umgang mit Schulden oder die Einrichtung einer psychosozialen Betreuung. Darüber hinaus begleitet der Coach die betroffenen Personen bei Behördengängen und hilft dabei, den Alltag zu strukturieren. Zudem ist er Ansprechpartner für den Arbeitgeber.

Arbeitgeber, die arbeitslosen Menschen eine geförderte Teilhabe am Arbeitsmarkt ermöglichen möchten, können sich hier melden:
Jobcenter im Landkreis Rottweil
Alexandra Ober
Telefon: 0741/20 960 52 04
Mail: JC-LK-RW(at)jobcenter-ge.de