27.09.2019

Claudis Kleiderkiste trotzt der Wegwerfgesellschaft

Vom Mode-Recycling in einem schwäbischen Bauernhaus

Was meinen Sie, kennen die Modemacher und Direktricen aus New York, Paris, Mailand, Berlin oder London das schwäbische Dorf Aldingen? Nicht? Sollten sie aber, denn im ehemaligen Stall eines renovierten Bauernhauses landet in schöner Regelmäßigkeit gut erhaltene Kleidung bekannter Marken. Weit weg von den internationalen Fashion-Metropolen betreibt Claudia Matschijewski seit 14 Jahren erfolgreich einen Second-Hand-Shop und zwar in dem Teil des Gebäudes, wo einst Kleinbauern ihre Kühe hielten. Wer nun aber meint, in „Claudis Kleiderkiste“ muffelt es nach alten und abgetragenen Klamotten, der täuscht sich gewaltig: „Das war mir von Anfang an sehr wichtig“, erzählt die rührige 58-Jährige.

In der Gründungsphase schaut sich die zweifache Mutter viele Läden an: „Roch es dort entsprechend, hätte ich selbst mit der Beißzange kein Teil angefasst.“ Bei Claudia Matschijewski kommt deshalb nur frisch gewaschene und gut erhaltene Kleidung ins Sortiment. Nach Terminvereinbarung werden ihr beinahe jede Woche gebrauche Textilien vorgelegt, für die oft viel Geld bezahlt wurde: „Jeder hat in seinem Kleiderschrank ja kaum oder sogar nie getragene Teile. Entweder sie passen nicht mehr, oder aber der Kauf basierte auf einer Empfehlung und die innere Überzeugung fehlte.“ Die 58-Jährige weiß mittlerweile, was sich gut und für welchen Preis verkauft: „Ich treffe für mich eine Auswahl und lege mit den Besitzern die Preise fest. In der Regel kommen die Kleider dann für zwölf Wochen in den Laden. Danach wird abgerechnet. Der Erlös wird geteilt: jeder bekommt etwa die Hälfte.“

Die Idee, im ehemaligen Stall in der Schurarer Straße 18 gebrauchte Kleidung zu verkaufen, entsteht, nachdem die beiden Töchter aus dem Haus sind: „Es wäre jammerschade gewesen, den Raum nicht zu nutzen, und da ich gerne mit Leuten zusammen bin, bot sich ein Laden an.“ 2005 schwächelt die Wirtschaft und Claudia Matschijewski und ihr Mann überlegen sich, an welcher Stelle in den Privathaushalten gespart wird: „Urlaub und Essen ist es nicht, Kleidung dagegen schon.“ Drei Monate arbeitet sie fortan in einem Second-Hand-Shop, dann steht fest: das könnte auch im Aldinger Bauernhaus klappen. Vom „Haus der Mode“ in Rottweil übernimmt die Jung-Unternehmerin nach dessen Schließung Kleiderständer, Kleiderbügel sowie Verpackungsmaterial. Gleichzeitig werden sämtliche Bekannte dringend gebeten, abgelegte Kleidung in gutem Zustand nicht wegzuwerfen. Und dann ist es soweit: am 1. April 2005 eröffnet „Claudis Kleiderkiste“.

Von Beginn an nutzt die gelernte Arzthelferin ihren Nebenjob als Regionalberaterin des US-amerikanischen Unternehmens Tupperware, welches im Direktvertrieb mehrheitlich aus Kunststoff bestehende Küchen- und Haushaltsartikel anbietet: „Während die Kinder klein waren, bot mir diese Stelle die Chance, weiterhin beruflich aktiv zu sein.“ Im Rahmen der sogenannten „Tupperpartys“ rührt die gebürtige Weigheimerin immer ein wenig auch die Werbetrommel für ihren kleinen Second-Hand-Laden. Mit Erfolg: das Geschäft läuft.

Obwohl Claudia Matschijewski neben einer großen Damen-Abteilung auch in kleinerem Umfang gebrauchte Kleidung für Herren, Kinder und Babys anbietet, sind es überwiegend Frauen, die zu ihr kommen: „Es ist sogar nicht selten der Fall, dass Frauen Textilen für ihre Partner kaufen und eine Musterhose oder ein Musterhemd gleich mitbringen.“ Natürlich gibt es auch Menschen, die „Claudis Kleiderkiste“ erst einmal kritisch beäugen, so wie die ältere Aldingerin, welche immer wieder mal am Laden vorbeigelaufen war, bis die Neugierde schließlich doch noch siegte: „Sie war dann ganz erstaunt über mein Sortiment, das glücklicherweise sehr viel Spitzenqualität beinhaltet.“ Nicht von ungefähr erhält die 58-Jährige viele Textilien in Kommission, deren Besitzerinnen in regionalen Modehäusern arbeiten und stets „top aktuell“ gekleidet sein müssen.

Ihr Kundenstamm umfasst eine durchschnittliche Altersspanne von 20 bis 60 Jahren und rekrutiert sich aus der ganzen Region. Von der Lehrerin aus Wehingen, die Markenware liebt, über die kinderreiche Familie aus Talheim („Wir hatten noch nie so viel hochwertige Kleidung im Schrank, seit wir bei Dir einkaufen“) bis hin zu drei Schwestern, zwei vom Heuberg, die Dritte aus Bayern, ist alles dabei. Ganz grob lassen sich drei Gruppen ausmachen: „Kundinnen, die nur Ware bringen, Kundinnen, die Ware bringen und Kleider kaufen sowie Kundinnen, die nur Kleider kaufen.“ Stopp! Genaugenommen müsste die Aufzählung noch um eine vierte Gruppe ergänzt werden: Kundinnen, welche die Atmosphäre lieben und sich in der Schurarer Straße 18 eine kleine Auszeit gönnen: „Neulich kam eine Stammkundin mit den Worten zur Tür herein: ‚Ich hatte so einen Scheißtag, da muss ich mir jetzt was Gutes tun!‘ Ein schöneres Kompliment kann ich doch nicht bekommen.“

Was motiviert Menschen, sich im „Second-Hand-Laden“ einzukleiden? Claudia Matschijewski vermag eine ganze Reihe an Gründen anzuführen: „Da ist zunächst einmal der günstige Preis. Der spielt aber nicht nur für Menschen eine Rolle, die genau rechnen müssen, viele meiner Kundinnen sehen es nicht ein, für eine Markenjeans 100 Euro hinzublättern. Andere benötigen für eine Hochzeit ein angemessenes Kleidungsstück, das aber danach im Schrank versauert, und deshalb nicht teuer sein soll. Darüber hinaus enthält gebrauchte Kleidung keine Schadstoffe mehr, bleibt, da getragen, schön in Form und vermittelt in Zeiten der Wegwerfgesellschaften das gute Gefühl, ein Stück weit nachhaltig zu handeln.“ Nicht zuletzt spielt auch der familiäre und lockere Umgang im Aldinger Laden eine Rolle, wie die männliche Begleitung („Bin nur beratend tätig“) zweier Kundinnen betont: „Es macht einfach Spaß, bei Claudia einzukaufen, alles sehr entspannt und unverkrampft.“ Die Ladeninhaberin nimmt die Aussage erfreut zur Kenntnis. Und immer, wenn es zu Jahresbeginn etwas ruhiger wird in der „Kleiderkiste“, denkt Claudia Matschijewski einfach an den Satz einer Stammkundin aus Rottweil: „Claudia, hör ja nit uff!“