SCHRECK LASS (NIE) NACH
Darsteller bei Traumatica – Festival of Fear – das Horror-Event im Europa-Park in Rust
So langsam schmerzt es doch ein wenig. Blaue Flecken deuten sich schon an. Aber aufhören kommt für mich nicht in Frage. Der Ehrgeiz hat mich gepackt. Außerdem macht es seltsamerweise ziemlich viel Spaß. Wieder und wieder schnelle ich aus dem Dunkeln vor an die Gitterstäbe meiner Zelle am Eingang der Baracke. Mit voller Wucht werfe ich mich dagegen und röchle heiser. Die Reaktion der nichtsahnend Eintretenden entzückt mich. Viele Frauen kreischen, Männer zucken zusammen und weichen zurück. Genauso soll es sein. „Die Leute bezahlen dafür, dass wir sie erschrecken“, hat mir Schauspieltrainer Frank Habatsch noch vor einer Stunde erklärt. Also versuche ich, heute Abend hier im Europa-Park in Rust einen möglichst guten Job zu machen.
Einen „Great Job“ macht hier auf jeden Fall schon einmal vorab das Team um Chef-Maskenbildner Bill McCoy aus den USA. Von Anfang an tragen die Profis mit Hollywood-Referenzen ganz entscheidend dazu bei, dass das Horror-Festival „Traumatica“ seit 2007 das Publikum begeistert. Sie verwandeln die rund 200 Darsteller in ein geballtes Grusel-Kabinett, das locker bei jedem Film-Set bestehen könnte.
In 20 Minuten verzaubert Maskenbildner Tony Campagna auch mich in eine ziemlich angsteinflößende Kreatur. Ich stecke bereits im Kostüm bestehend aus zerrissenem Baumwollhemd, verdreckter Latzhose und klobigen Boots. Als ziemlich schräger Obdachloser darf ich heute den sogenannten „Petting Zoo“ („Streichelzoo“) bereichern. Kurz vor 19 Uhr – dem Einlass für die Besucher – sammeln sich dann Backstage Killer-Clowns, Zombies, Wiedergänger, Hexen und böse Feen, um sich gemeinsam auf den Abend einzustimmen. Ein Vampir genehmigt sich den letzten Schluck Kaffee, die Mumie stärkt sich noch mit einer Brezel, ein Poltergeist huscht schnell noch auf Toilette…dann strömen sie aus und verwandeln das Gelände bis 0 Uhr in eine WELT DES GRAUENS...
Die meisten Darsteller sind nur nebenberuflich Teil der Horrorshow. Normale Menschen mit normalen Jobs. Von Ende September bis Mitte November aber stehen die (teils sogar verlängerten) Wochenenden für sie komplett im Zeichen von Traumatica – dem Festival der Angst. Die Nachfrage, als Darsteller dabei zu sein, ist groß. Erst nach erfolgreich durchlaufenen Castings wird man zum professionellen Erschrecker geschult. Hier im Backstage-Bereich wimmelt es von Wiederholungs- und Überzeugungstätern. Viele sind seit Jahren mit an Bord und erscheinen demonstrativ im Traumatica-Fan-Shirt zum Dienst.
Die Grundstimmung im „Petting Zoo“ soll laut Frank Habatsch ähnlich sein, wie nach dem Ausbruch eines Tigers aus dem Käfig: „Jederzeit kann hinter der nächsten Biegung etwas lauern…“ Der Tiger in mir jedenfalls ist geweckt. Zusammen mit Sandra aus dem schwäbischen Bönnigheim, die eine ziemlich gruselige Braut mimt, ist mein Platz in einem dunklen Bretter-Häuschen. Der Raum ist eine einzige Gefängniszelle mit Gitterstäben aus Metall. Nur die Raummitte ist als Durchgang frei. Alle Besucher müssen das kleine Gebäude queren.
Unsere Vorgabe ist klar. Sandra lockt die Besucher gruppenweise ins Innere. Hochzeitsmusik erklingt. Ich verstecke mich im Dunkeln hinter den Gittern und erschrecke die Eintretenden als inhaftierter Obdachloser mit ordentlichem Alkoholpegel. Die Braut betätigt einen Schalter am Ausgang. Weißes, in hoher Frequenz pulsierendes Licht erhellt den Raum. Sirenengeheul und Schreie vermischen sich zu einer schrägen Horror-Symphonie. Zombie-Puppen strecken ihre Arme bedrohlich zwischen den Gitterstäben hindurch. Immer vor und zurück. Dann irren Sandra und ich zwischen den Besuchern durch den Raum und lenken sie zum Ausgang. Berühren ist dabei tabu.
Was sich einfach anhört, ist mit der Zeit eine sportliche Angelegenheit. Schminke tropft mir von der Nase. Ich bin schnell durchgeschwitzt. Sandra geht es nicht besser. Ihr Brautkleid samt Schleier umhüllt sie lückenlos. Nicht von ungefähr hat sie sich im Fitness-Studio auf die Horror-Show vorbereitet. Normalerweise arbeitet die 31-Jährige in einer Software-Firma. Seit 13 Jahren gehört sie zur Traumatica-Familie und taucht für sechs Wochen in eine Welt, die sich grundlegend von ihrem Alltag unterscheidet. Obwohl der Nebenjob gut bezahlt ist, übernachtet Sandra mit zwei Zelten auf dem nahen Campingplatz. Strom für ihre zwei Heizlüfter gibt es dort kostenlos. „Es macht einfach mega Spaß und die Stimmung unter uns Darstellern ist super.“
Zeit zum Wasser trinken bleibt kaum, im Minutentakt strömen die Besucher durch den „Petting Zoo“. Die Show heute ist zwar nicht ganz ausverkauft, aber sehr gut besucht. Hauptzielgruppe scheinen Menschen zwischen 25 und 35 zu sein. Die Reaktionen sind komplett gemischt. Von stoischer Gelassenheit über amüsiertem Grinsen bis hin zu deutlichem Unwohlsein ist alles dabei. Unterm Strich aber fühlt sich das Publikum sichtlich sehr gut unterhalten. Für 31 Euro aufwärts. Dabei ist der „Petting Zoo“ nur ein kleiner Teil des Festivals…
Ich habe um 21.32 Uhr aus-entertaint. Bereichsleiterin Anja in hexenhafter Erscheinung bringt mich wieder Backstage. Auf dem Weg dorthin schön in der Rolle bleiben. Bisschen wanken, knurren und grummeln. Anja, normalerweise Logistikfachfrau, erschrickt ab und an mit schriller Stimme die Gäste auf dem Weg. Dann ist der Spuk für mich vorbei. Abgeschminkt und verschwitzt verlasse ich das Gelände. Auf dem Mitarbeiter-Parkplatz bleibe ich kurz stehen und blicke zurück auf das beleuchtete Areal. Eigentlich schade, dass es morgen Abend nicht wieder in die Maske geht…
Vorher – Nachher:
Der HIERBLEIBER-Redakteur Jochen Schicht testet den Job als Horror-Darsteller im Europa-Park in Rust.