26.10.2023

OHR AM ROHR

Unterwegs mit dem Gasrohrspürer

Die Gemeinde Denkingen am Fuß des Klippenecks an einem Vormittag unter der Woche. Es ist Sommer, aber bewölkt. Die Straße mit den Einfamilienhäusern liegt verlassen da. Weder Autos noch Fußgänger sind zu sehen. Alle sind bei der Arbeit wie es scheint. Thomas Gehring von der Firma Schütz Messtechnik aus Lahr zupft sich die orange Sicherheitsweste zurecht, hängt sich den mobilen Laptop um den Hals und greift zum Gasspürgerät. Als sogenannter „Gasrohrspürer“ ist es sein Job, unterirdisch verlegte Erdgasleitungen auf Lecks hin zu überprüfen. Heute im Auftrag der Energieversorgung Rottweil (ENRW), dem regionalen Energieversorger für Rottweil, Spaichingen und Umgebung. Laut Vorschrift müssen Niederdruckleitungen, welche direkt zu den Häusern führen, alle drei bis vier Jahre abgegangen werden. Eine sichere Versorgung mit Erdgas genießt bei der ENRW höchste Priorität. Und selbst wenn irgendwann statt Erdgas Wasserstoff oder andere Stoffe durch die Leitungen fließen sollten, wird die wichtige Arbeit von Thomas Gehring immer noch gefragt sein.

Der 62-Jährige schaut prüfend zum Himmel, denn auf nassem Asphalt schlägt das Gerät nicht an. „Wo die Leitungen verlaufen, zeigt mir das Geografische Informationssystem (GIS) auf dem Laptop“, erklärt er mir. Dann laufen wir los. Das Gasspürgerät rattert mit seinen kleinen Rädchen über den Boden und saugt die Luft an. Würde es Erdgas „riechen“, startet ein akustisches Signal. Erdgas ist leichter als Sauerstoff und dringt deshalb durch den Boden nach oben.

Wir durchqueren den ersten Vorgarten. Vorsichtig bahnen wir uns den Weg durch die Blumenrabatte. Gehring weiß, dass Hobbygärtnerinnen und Hobbygärtner richtig sauer werden können, wenn Pflanzen niedergetrampelt werden. Ganz ungefährlich ist der Job nicht. Bei einem Sturz in unwegsamem Gelände hat sich der Gasrohrspürer jüngst schon eine Mittelhand gebrochen.

Aus jahrelanger Erfahrung weiß Gehring, wo ungefähr die Erdgasleitung in den Keller führt, denn das Geoinformationssystem bildet hier nur eine grobe Richtschnur. An der Hauswand angekommen, markiert der gelernte Gas-Wasser-Installateur auf dem Plan im Laptop einen grünen Punkt: Alles in Ordnung. Anders als am frühen Morgen, als er in einer Garagenzufahrt tatsächlich auf ein unterirdisches Leck gestoßen war: „Die Monteure der ENRW sind gerade dabei, aufzugraben und die undichte Leitung auszutauschen.“ Natürlich muss dann während der Bauarbeiten die Gaszufuhr auf das betreffende Grundstück unterbrochen werden.

Lecks können durch Materialmüdigkeit entstehen, aber auch durch Tiefbaumaßnamen wie beispielsweise die Verlegung von Glasfaser in die Straßen. Ist das Leck geflickt oder ein neues Stück Leitung im Boden, kommt das Gasspürgerät nochmals zum Einsatz: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Die meisten Schäden treten tatsächlich direkt beim Hausanschluss auf. Viele sind es nicht. Das ENRW-Netz ist gut in Schuss: „In ganz Spaichingen waren es dieses Jahr gerade einmal zehn Auffälligkeiten.“

Wir haben Glück, denn alle Grundstücke in der Straße sind frei zugänglich. Wäre dies nicht der Fall, müsste Gehring klingeln und je nach Anwesenheit später nochmals kommen. Wird ihm der Zutritt verweigert, muss er dies im digitalen Plan mit einem roten Kreuz vermerken: „Leitung ungeprüft“. Rund 25 Grundstücke schafft er pro Stunde. Am Tag kommen da locker 12 Kilometer Strecke zusammen. In kleineren Orten spricht es sich schnell herum, dass da ein Mann mit Warnweste ums Haus schleicht: „Ich bin ja schon drei Tage hier, auf Facebook wurde schon ein Video von mir gepostet.“ Das aber offensichtlich nicht alle gesehen haben…

Misstrauisch mustert uns eine ältere Dame hinter einem stattlichen Hoftor mit einem großen Hund an ihrer Seite. Thomas Gehring stellt sich sowie sein Anliegen freundlich vor und bittet um Einlass. „Nur einer bitte“, sagt die Frau, „Jonny ist schon 14 Jahre alt, hat Arthrose und es stresst ihn.“ Kein Problem für uns. In zwei Minuten ist die Prüfung erledigt und der grüne Punkt im digitalen Plan gesetzt. Jonny hat es durchgehen lassen. „Bis in vier Jahren dann…“ verabschiedet sich Gehring.

Sichtet der Gasrohrspürer auf der Straße eine sogenannte „Gas-Schieber-Kappe“, steuert er sie zielgerichtet an. Es handelt sich dabei um einen kleinen Schutzschacht, der dazu dient, unterhalb der Straßenoberfläche verlegte Hausanschlussleitungen leichter bedienbar und zugänglich zu machen. Gehring lässt das Gasspürgerät nicht nur über den „Deckel“, sondern auch drumherum fahren: „Sollte in der Umgebung der Kappe ein Leck sein, sammelt sich das Gas im Hohlraum unter der Kappe.“ Auch Risse im Asphalt sind ideale Prüfstellen.

Jetzt kommt dann doch mal ein Auto und wir räumen kurz die Straße. Und prompt passiert es: das Gasspürgerät schlägt an und piepst… Gasalarm? Ein Leck im Boden? Mein Begleiter winkt ab: „Das sind die Abgase vom Auto… sollten mal wieder die Abgaswerte geprüft werden.“

Insgesamt 15 Jahre läuft der 62-Jährige bereits durch Straßen, Gärten, aber auch durch Wälder und Wiesen. Die ENRW beispielsweise verfügt über rund 30 Kilometer Hochdruckleitungen, von denen viele querfeldein verlaufen. Einmal jährlich werden diese größer dimensionierten Transportleitungen geprüft: „Kein Spaß, da die Natur sich von Erdgasleitungen nicht beeindrucken lässt, sondern munter weiterwächst. Körperliche Fitness ist da eine Grundvoraussetzung….“

Gasrohrkontrollen finden ausschließlich zwischen März und November statt. Im Winter stehen Betriebs- und Industrieprüfungen auf dem Programm. Manchmal wird dort auch nicht nach Gaslecks gesucht, sondern nach Wasseraustritten. Der Eishockey-Fan Gehring aus Villingen-Schwenningen liebt seinen Job: „Ich kann meine Arbeit selbst einteilen und muss mich mit niemandem abstimmen.“ Bei großer Hitze ist er schon ab 6:30 Uhr in den Vorgärten unterwegs. Wir kommen nach einer Stunde wieder zurück zum Auto. Kurz durchatmen und die Straßen auf einem ausgedruckten Lageplan abstreichen. Dann geht es wieder los und das Gasspürgerät rollt wieder über den Denkinger Asphalt.

Thomas Gehring von der Firma Schütz sucht nach Lecks in den unterirdischen Gasleitungen.