BLITZSCHNELL
Unterwegs mit einem Messkontrolleur des Landkreises Rottweil
Immer wenn ich an einem Blitzer vorbeifahre, reagiert mein Körper. Ich muss gar nicht geblitzt werden. Es kribbelt unangenehm am Rücken. Oft sehe ich ihn (zu) spät und bremse hart. Und das obwohl meine gefahrene Geschwindigkeit in der Regel den erlaubten Rahmen nicht übersteigt. Einerseits könnte das Gefühl, bei etwas Verbotenem ertappt zu werden, meine körperliche Reaktion erklären. Anderseits die Gewissheit, bei Auslösen des Blitzes sanktioniert zu werden. Wen ärgert es nicht maßlos, mühsam verdientes Geld als Buße abzugeben und keinen Gegenwert zu erhalten. Sicherlich nicht nur Schwaben…
Geschwindigkeitskontrollen sind bei den Leuten jedenfalls so beliebt wie ein Hagelsturm oder verbranntes Essen. Messgeräte werden nachts mit Spitzhacken malträtiert oder besprayt. Beschossen mit Schusswaffen oder Böllern, angezündet… Dabei geht es ja nur darum, die Verkehrssicherheit aufrechtzuerhalten. Die Menschen scheinen aber eher das Gefühl zu haben, abgezockt zu werden. Wie anders lassen sich sonst diese heftigen Reaktionen erklären?
Heute wechsle ich die Fronten. Heute komme zumindest ich garantiert ungeschoren davon. Heute bin ich auf Seiten des Gesetzes. In einem Messfahrzeug, unauffällig am Straßenrand, in einer 30er Zone. Doch noch lässt es auf sich warten. Ich nutze die Zeit, um über die Auswirkungen von überhöhter Geschwindigkeit zu googeln. Dass viele Fahrende zu schnell sind, belegen Auswertungen des Statistischen Bundesamtes. So registrierte die Polizei 2021 in knapp 40.000 Fällen unangepasste Geschwindigkeit als Ursache eines Unfalls mit Personenschaden, knapp 800 Menschen kamen dabei ums Leben.
Jetzt passiert ein dunkler VW-Bus das Ortsschild. Es geht los. Gekonnt manövriert Fahrer Massimo S. (Namen von der Redaktion geändert) den Bus parallel zur Fahrbahn. Messkontrolleur Andreas W. misst mit einem Lineal den Abstand der Räder zum Bordstein. Nicht selten kommt es vor, dass Andreas oder sein Kollege vor Gericht als Zeuge erscheinen müssen. Und dort geht es immer darum, ob die Messung ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Massimo und Andreas haben unterschiedliche Arbeitgeber. Andreas ist bei der Bußgeldstelle des Landratsamtes angestellt, Massimo bei einer Firma aus Karlsruhe, welche Messfahrzeuge an Landkreise und Kommunen verleiht, inklusive Fahrer.
Nun sitze ich auf der hinteren Rückbank des VW-Busses. Hinter meinem Rücken blickt die Kamera durchs Heckfenster. Die meisten Blitzer arbeiten mit der Radartechnik. Hier werden elektromagnetische Wellen ausgesendet, welche von den Autos reflektiert werden. Die Sensoren im Blitzer erkennen, wie stark gestaucht die Signale zurückgeworfen werden, und können damit die Geschwindigkeit berechnen. Zum Fahrzeuginneren hin ist eine Geschwindigkeitsanzeige angebracht. Jedes entgegenkommende Auto wird erfasst.
Die vordere Rückbank im VW-Bus fehlt, stattdessen steht ein kleiner Schreibtisch an der zur Straße gewandten Seitenwand. Darauf zwei Monitore und jeweils ein Kästchen mit Knöpfen. Massimo hat mittlerweile zwischen Lenkrad und Frontscheibe eine weitere Kamera platziert. Wir können starten. Andreas stellt die rückwärtige Kamera scharf, beobachtet aber auch die Autos, welche von vorne kommen, um schnell reagieren zu können: „Mit den Jahren bekommt man einen Blick für Geschwindigkeiten, allerdings sind Busse und SUVs immer noch sehr schwer einzuschätzen. Man denkt, die sind zu schnell, sind sie aber oft gar nicht.“
Ich knie mich auf meine Sitzbank und schaue auf die entgegenkommenden Autos… die Kamera genau neben mir. Rasend schnell wird mir bewusst, wie viele Ausdrucksmöglichkeiten das menschliche Gesicht für Unbehagen bereit hält. Große Augen, Zornesfalten oder Stirnrunzeln sind nur ein kleiner Teil der Bandbreite. Manch einer posiert aber auch grinsend und mit Daumen nach oben für die Kamera. Einer hupt laut, vermutlich um sein Missfallen auszudrücken. Eine Frau wird geblitzt und legt sofort eine Vollbremsung hin. Zu spät. Andreas erstellt das Protokoll zum Foto. Dieses enthält unter anderem Angaben zu Wetter, Fahrspur, Verkehrszeichen sowie Nähe zu einer Schule oder einem Kindergarten.
„Die Leute geben sich gegenseitig Zeichen und versuchen sich zu warnen. Auf Facebook, in Warn-Apps oder im Radio werden wir erwähnt, aber letztlich macht es nicht viel aus“, sagt der Messkontrolleur, „letztlich ist alles gut, was dazu führt, langsam zu fahren.“ Massimo nickt zustimmend und ergänzt: „Die Geschwindigkeitsmessungen sind eine Maßnahme zur Verkehrserziehung. Wenn sich alle an die Geschwindigkeitsbegrenzungen halten, haben wir unser Ziel erreicht. Wir stehen nicht da, um abzuzocken.“
Das sehen nicht alle so. Die beiden berichten, dass regelmäßig Autofahrer an den VW-Bus kommen, um zu diskutieren und sich zu beschweren. Ab und an muss sogar die Polizei kommen. Es ist besser, zu zweit zu sein: „Man weiß ja nie, ob jemand mal ein Messer zückt.“ Lob kommt hingegen von verkehrsgeplagten Anwohnern: „Die sind froh, wenn wir da sind.“ Im Landkreis Rottweil gibt es über 1.000 Messstellen, welche rollierend angefahren werden. Besondere Priorität genießen Straßen an Schulen oder Kindergärten. Die ganze Woche sind Andreas und noch ein weiterer Messkontrolleur unterwegs. Geblitzt wird täglich an drei bis vier Stellen: „Wir tun, was wir können.“
Heute gibt es nur wenige Geschwindigkeitsübertretungen. Die beiden rüsten sich so langsam zum Aufbruch. Die nächste Stelle wartet. „Selbst schon mal geblitzt worden?“ frage ich abschließend. Andreas nickt. „Klar, wir sind auch nur Menschen. Da ist man in Gedanken und ein paar km/h zu schnell und schon ist es passiert.“