16.04.2021

„Niemand will einen Bestatter als Nachbarn“

Wir beginnen diese Geschichte von Ulrike Lampl und ihrem Sohn Alexander Kaiser mit einem Blick ins Mittelalter. Uns interessiert, wo die Menschen in einer mittelalterlichen Stadt lebten. Im Zentrum der Städte rund um die großen Kirchen residierten die reichen Kaufleute und Handwerker. Je weiter es in Richtung Stadtmauer ging, desto bescheidener wurden die Behausungen. Bis hin zu den ärmlichen Katen der Tagelöhner. Direkt an oder schon außerhalb der Stadtmauern fanden sich jene wieder, die einem „unehrlichen“ – heute würde man sagen „unehrenhaften“ – Beruf nachgingen.

Darunter auch sämtliche Anbieter „unreiner“ Dienstleistungen, welche mit Schmutz, Strafe und Tod zu tun hatten. Ob Gassenkehrer, Gefängniswärter, Köhler, Abdecker, Henker, Hunde- und Katzenfänger, Schäfer oder Hirten – niemand wollte solchen Menschen zu nahe kommen. Besonders mied man den Totengräber, da sich dieser um die Leichen kümmerte. Er musste sie waschen und herrichten, die Gräber ausheben und wieder zuschaufeln.

Ein wenig fühlen sich Ulrike Lampl und Alexander Kaiser in diese Zeit zurückversetzt, als sie im April 2020 in Rottweil ein Bestattungsunternehmen mit dem Namen „Lebenswege Schmetterling“ gründen und auf der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten sind: „Niemand will einen Bestatter in der Nachbarschaft oder seinem Haus. Selbst unser Leichenwagen erregt bis heute Unmut, nur wenn er irgendwo zu lange parkt. Das Thema „Tod“ ist immer noch tabu. Es wird verdrängt und ausgeklammert. Doch der Tod gehört zum Leben.“

Die ehemalige Waldorflehrerin musste dies mehrfach selbst erfahren. 2015 erkrankte sie schwer an der Influenza und entrann nur knapp dem Tod. Im gleichen Jahr kamen ihr damaliger Lebensgefährte sowie dessen Tochter bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Das Thema „Trauer“ lässt sie fortan nicht mehr los. Durch ihren eigenen Trauerprozess entdeckt die heute 53-Jährige, dass sie anderen Menschen in ihrer Trauer helfen kann und absolviert eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin. Der Tod der Tante im Jahr 2019 offenbart Ulrike Lampl ihre Berufung zur Bestatterin. Die besondere Philosophie des beauftragten Bestattungshauses in Stuttgart fasziniert sie. Bereits am zweiten Tag ihres Praktikums dort ist ihr klar, dass sie als Bestatterin arbeiten möchte: „Für mich ist das eine Herzenssache und nicht nur ein Job!“

Ihr Unternehmen startet mitten im ersten Corona-Lockdown unter alles andere als günstigen Vorzeichen: „Wir mussten eine Online-Eröffnung organisieren mit einem virtuellen Themenweg bestehend aus Audio- und Videosequenzen.“ Danach gilt es, „Lebenswege Schmetterling“ bekannt zu machen, „und den Menschen ihre Scheu vor einem Bestatter zu nehmen.“ Und dies funktioniert am besten im Rahmen persönlicher Gespräche.

Doch weder die geplanten Führungen im Schwenninger Krematorium, noch die Info-Vorträge in Pflegeheimen, Krankenhäuser oder Senioren-Residenzen können aufgrund Corona stattfinden. Werbung läuft ausschließlich über Radiospots und Zeitungsanzeigen. Im Sommer 2020 kommt es dann endlich zu ersten persönlichen Begegnungen. Mutter und Sohn mieten für Vorträge das Rottweiler Café am Känzele: „Die Resonanz war überwältigend. Wir hatten mehr Anfragen als Plätze.“ Endlich können sie sich persönlich vorstellen. Interessante Infos gibt es zuhauf. Wer weiß beispielsweise, dass es erlaubt ist, Verstorbene vor Begräbnis oder Einäscherung nochmals für 36 Stunden nach Hause bringen zu lassen? In der gewohnten Umgebung ist ein anderes Abschiednehmen möglich als an fremden Orten.

Der zweite Lockdown sorgt jedoch wieder für deutlich erschwerte Bedingungen, um sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Persönliche Kontakte sind erneut kaum noch möglich. Vor Allerheiligen verteilen die beiden vor vielen Friedhöfen in der Region Grablichter und Visitenkarten. Anfang Dezember verschenken sie Schoko-Nikoläuse an Pflegeheime. Noch ist die Auftragslage überschaubar bei laufenden Kosten für gemietete Räumlichkeiten, Büroausstattung, Werbung, Fahrzeug, Versorgungsinstrumente und Muster-Särge.

Besser läuft es mit dem zweiten Geschäftszweig. Neben Bestattungen, Trauerbegleitung und Hospizarbeit bieten Ulrike Lampl und Alexander Kaiser, ein gelernter Bankkaufmann, auch Seniorenassistenzen an: „Dies umfasst die Hilfe im Alltag, egal ob Einkaufen, Fahrdienste, Haushaltstätigkeiten oder einfach nur Gesellschaft leisten.“ Die Nachfrage ist enorm. Deshalb sucht das Duo weitere Mitarbeiter mit Erfahrung in der Seniorenarbeit. Gleichwohl soll der Schwerpunkt des Unternehmens auf der Bestattung liegen.

Bleibt immer noch die Suche nach Räumlichkeiten. Gibt es tatsächlich weder in, noch außerhalb der Stadtmauern Platz für einen weiteren Bestatter? Nach fast einem Jahr können Ulrike Lampl und Alexander Kaiser endlich Vollzug melden: bald wird das Unternehmen zentral in der Rottweiler Innenstadt vertreten sein. Wäre ja auch seltsam gewesen. Immerhin ist das Mittelalter schon sehr lange vorbei