16.04.2021

„Influencer erreichen mehr Menschen als jeder Fernsehsender“

Kennen Sie „Glibbi Boom“? Das ist die „wolkenförmige Badebombe“ eines großen deutschen Spielzeugherstellers. Gibt man sie ins Wasser, treibt sie an der Oberfläche und löst sich langsam in bunten Regenbogenfarben auf. Dermatologisch getestet, bietet sie – laut Hersteller – die perfekte Unterhaltung in der Badewanne für Kinder ab drei Jahren. Als mehrere „Glibbi Booms“ per Post in der Oberndorfer Hauptstraße 40 eintreffen, weiß Mieter Dennis Pchaik genau, dass dieses Spielzeug nicht nur badewannentauglich ist, sondern ihn möglicherweise über Wasser halten kann.

Doch der Reihe nach: Nach einer Ausbildung zum Technischen Modellbauer und der Weiterbildung zum Technischen Fachwirt beschließt Dennis aus Schramberg sein Hobby zum Beruf zu machen. Fotografie und Film sind seine Leidenschaft, zu der sich der Bereich „Grafik“ fast automatisch hinzugesellt. Der damals 34-Jährige macht sich 2019 selbstständig: „Ich wollte mir am Ende meiner Tage nicht vorwerfen, es nicht wenigstens versucht zu haben.“ Da seine finanziellen Möglichkeiten begrenzt sind, und er sich die Ladenmieten in Rottweil nicht leisten kann, beginnt seine Selbstständigkeit in einem 69 Quadratmeter großen Kellerraum in der Oberndorfer Hauptstraße 34: „Ganz blauäugig, ohne Business-Plan.“ Nach vier Monaten und einigen kleinen Aufträgen sind seine Ersparnisse komplett aufgebraucht.

Mitten in der einsetzenden Ernüchterung meldet sich ein ehemaliger Schulkamerad und der erste große sowie vor allem längerfristige Auftrag ist im Kasten. Dennis dokumentiert über Monate mit der Kamera den Umbau eines alten Mercedes-Transporters in ein alternatives Wohnmobil für Weltreisende. Der Schulkamerad und dessen Freundin veröffentlichen die kommentierten Aufnahmen auf ihrem digitalen Reisetagebuch auf YouTube. Die regelmäßigen Einnahmen ermöglichen es Dennis, sich in ein ehemaliges Ladengeschäft einzumieten. In der Hauptstraße 40 kommt sein kleines Unternehmen langsam auf Touren. Für regionale Firmen erstellt er Image- und Werbefilme und fotografiert für Webshops sowie Websites. Zudem veranstaltet er Ausstellungen eigener Fotografien und für andere Künstler.

Dann kommt Corona. Den ersten Lockdown übersteht er gerade so mit einem dicken blauen Auge. Seither filmt und fotografiert er mit Maske und Abstand. Trotzdem macht sich Dennis Gedanken: „Mir war klar, dass Corona nicht so schnell verschwindet.“ Ein Freund macht ihn auf TikTok aufmerksam: „Da kannst Du Dich doch voll austoben.“ Die Plattform gehört zu den mobilen Apps, die sich derzeit weltweit am schnellsten verbreiten. Als Nachfolger von der Playback-App „musicl.ly“ entwickelt sich TikTok zur führenden Kurzvideo-Plattform für Millionen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Dennis fängt schnell Feuer. Speziell die Videokategorie „Transition“ hat es ihm angetan: „Es sind Videoclips ohne Sprache und komplett ohne harte Schnitte, alles läuft übergangslos und fließend ab.“

Der Jung-Unternehmer produziert erste Clips, lädt sie hoch und stößt auf begeisternde Resonanz: „Aus der ganzen Welt haben die Leute mich angeschrieben und die Zahl meiner Follower stieg schnell.“ Eine Influencer- Agentur wird auf seinen Kanal aufmerksam. Und nun kommt „Glibbi Boom“ ins Spiel: „Ein großer Spielzeughersteller suchte jemand, der für TikTok einen kurzen Werbeclip für die Badebombe produziert und auch über seinen eigenen Kanal promotet. Da kamen sie über die Influencer-Agentur auf mich.“

Dennis erstellt drei Videos, welche die Marketing- Leute des Spielzeugherstellers begeistern. Es kommt zu Folgeaufträgen: erst eine Spielzeug-Rennbahn, dann Bobby Cars. Dennis’ Kanal verfügt mittlerweile über 50.000 Follower. Einzelne Clips werden über eine Million Mal angeschaut. Der Schramberger erkennt für sich das enorme Potential dieser Werbeform: „Heutzutage erreichen Influencer deutlich mehr Menschen als jeder Fernsehsender. Und das mit überschaubarem Aufwand. Das ist für jede Firma interessant. Ich selbst habe nahezu die völlige künstlerische Freiheit und arbeite komplett kontaktlos. Eigentlich gibt es nix Besseres.“

Der mittlerweile 35-Jährige kommt ins Grübeln. Was hat mehr Zukunftspotential? Das Geschäft vor Ort oder als Influencer? Letzteres könnte problemlos auf andere Social Media-Kanäle ausgeweitet werden: „Denkbar wären beispielsweise neben den Werbevideos kostenpflichtige Tutorials über die Produktionstechniken auf Instagram.“ Keine Frage: „Glibbi Boom“ könnte sich im Nachhinein als auslösender Faktor für eine neue Karriere erweisen. Träumen jedenfalls ist erlaubt. Natürlich in den schillernsten Farben.

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